Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

noch gebräuchlichen Spielen „Plat¬ teln“ oder „Steckerlwerfen“ vergnügten. Nach dem Mittagessen um 11 Uhr wur¬ den gewöhnlich Ausflüge nach Judendorf oder Gleink unternommen, denn in das Gebirge kam man zu jenen Zeiten nie¬ mals, weil das Bergsteigen noch gänzlich unbekannt war. Hierin trat erst mit der Erbauung der Kronprinz=Rudolf=Bahn in den Jahren 1867 und 1868 eine gründliche Aenderung ein. Abends kam alles beim „Stern“ in der Zunfther¬ berge zusammen, wo es lustig herging bei Gesang, Scherz und Kartenspiel oft bis Mitternacht. Die Gesellen tranken nur „braunes“ Bier, wollte sich ein¬ mal einer ein „Märzen“ vergönnen, so trafen ihn höchst mißbilligende Blicke des Wirtes. Nicht nur im Gasthause und auf der Gasse, auch in der Werkstätte wurde von früh bis abends Tabak geraucht. Meistens waren zwei Pfeifen zugleich in Gebrauch, damit die eine „auskühlt und die andere „anraucht“. Die Meister und besseren Gesellen hatten silberbe¬ schlagene Pfeifen. Zigarren und Ziga¬ retten waren zu damaliger Zeit nahe¬ zu unbekannt. Der Montag war ein „leichterer“ Arbeitstag. Oft mußten Gesellen und Lehrlinge etwas Kaltes an diesem Tage essen, was man „Kallazen“ nannte. Man nahm sich Zeit, den „Baron Laveran“ zu beobachten, der an der Werkstätte vorüber stolzierte, eine mächtige Meer¬ schaumpfeife im Munde trug, heftig her¬ umspukte und stets das Wort im Munde führte, daß „der Mensch erst beim Ba¬ ron anfange“. Er starb als Dienstmann in Wien. Oder es kam die „Auer“ Nes in die Werkstätten, wo sie die verschiede¬ Innungssprüche, besonders die sog. nen „Fremdensprüche“ hersagte und dafür ein Almosen bekam. Der Samstag vor dem Dreifaltig¬ keitssonntag hieß der „Malaufnsamstag“. An diesem Tage kamen nämlich alljähr¬ lich die Losensteiner Nagelschmiede nach Steyr, um von hier aus eine Prozes 103 sion nach Christkindl zu unternehmen zur Erinnerung an ein Jahr schlechten Ge¬ schäftsganges in Losenstein, in welchem die sehnlichst erwartete Bestellung ge¬ rade an dem Tage in Losenstein eintraf, an welchem sie auf der Christkindler Wallfahrt waren. Die Losensteiner waren nun damals, wie es scheint, etwas neu¬ gierige Leute, weil sie auf ihrem Weg durch Steyr bei jedem Fenster hinein¬ guckten, wo gehämmert und geschmiedet wurde, weshalb dieser Samstag den ob¬ bezeichneten Namen erhielt. Die verschiedenen kirchlichen Fest¬ tage waren auch bei den Meistern mit verschiedenen Gebräuchen verbunden und gaben Anlaß zu erhöhter Tätigkeit der Meisterin in der Küche. Am Ostersonn¬ tag früh gab es Kaffee zum Frühstück, hierauf das „Geweihte“ und rote Eier, von denen jeder Geselle vier und jeder Lehrling zwei erhielt. Zu Mittag gab es „Ghacksuppe“, Rindfleisch mit „Semmel¬ radel“, Krennsuppe, Braten und Kraut¬ salat, Sellerie und zum Schlusse meist ein „Koch“ als Mehlspeise, sowie Most und Bier. An solchen Festtagen war es Sitte, daß sich die Gesellen mit den Worten: „Dank dem Meister für das Essen, dank der Meisterin für das Essen“ für den Festtagsschmaus bedankten, was die Lehrbuben übrigens jeden Tag be¬ sorgen mußten. Zu Allerheiligen wurde allen Ge¬ sellen und Lehrbuben ein sog. „Aller¬ heiligenstritzel“ als Geschenk verabreicht. Das schönste Familienfest war und ist überall und zu allen Zeiten das Weihnachtsfest. Am Heiligen Abend ver¬ sammelten sich alle in dem besten Zim¬ mer des Meisters, selbst die „Heimar¬ beiter“ mit ihren Frauen waren einge¬ laden. Nach dem Beten wurde zuerst eine Suppe gegessen und dann allen Anwesenden ein Körbchen „Kletzenbrot“ „Schober“. Nüsse und „Aepfelspaltl“ verabreicht, sowie Most, Bier und Schnaps (Rosoglio) herumgegeben. Ver¬ schiedene Spiele wurden veranstaltet, Krippenlieder gesungen und so verging

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