Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

102 in welcher sie vier Jahre, bis zum Frei¬ spruch bleiben mußten. Alles in der Familie hat gearbeitet, es gehörte aber auch alles bis zum letzten Lehrbuben zur Familie des Mei sters. Wie schön mutet uns heute ein solches Familienleben an, wo es kein kaltes Gegenüberstehen von Unternehmer und Arbeiter gab, wo noch aus An¬ hänglichkeit, aus Liebe zur Sache und nicht wegen des Lohnes allein gear¬ beitet wurde. In der Naming und im Unterwald, wo noch heute jene vielen Werkstätten stehen, in denen einst das Kleineisenhandwerk blühte, haben sogar die Frauen und Mädchen geschmiedet, „daraufgeschlagen“, wie man damals sagte. Es waren fleißige, angestrengte und doch zufriedene Menschen in jenen Zei¬ ten, wo von 4 Uhr früh bis 7 Uhr abends gearbeitet wurde. Von ½8 bis 8 Uhr war Frühstückspause. Es gab meist nur ein Stück Brot, bei grö¬ ßeren Meistern auch Rindsuppe dazu. Zwischen 11 und 12 Uhr wurde im Wohnzimmer des Meisters Mittag ge¬ gessen. Alle, auch die Gesellen saßen bei¬ sammen und aßen aus einer großen Schüssel. Vor dem Essen wurde gemein¬ sam ein Vaterunser und nachher der „Englische Gruß“ gebetet. An Wochen¬ tagen war gewöhnlich Schnittelsuppe, dann Rindfleisch mit Gemüse, an Don¬ nerstagen Gesechtes mit Schrotknödel und Kraut. An Sonntagen war ge¬ Schweinsbraten mit Sauerkraut bräuchlich. Zur Jausenzeit zwischen 3 und ½4 Uhr hat der Meister um 3 Uhr gesagt: „Kleinweis außerlassen!“ Das hieß, daß das glühende Eisen, Zoan oder Zaggl genannt, langsam aus dem Feuer zurückgezogen werden mußte. Zur Jause wurde bloß ein Stück Brot und eine alte „Halbe“ Most gereicht. (Eine „Halbe“ = 2 Seidel = 0•6 Liter, kostete damals 4 kr.) Die Speisenkarte für abends lautete: Montag: Leberknödl mit Salat, Dienstag: Lungenstrudl mit Kraut, Mittwoch: Fleckerlspeis, Donnerstag: Sauerfleisch (übriggebliebe¬ nes Rindfleisch mit Sauce), Freitag: Käse mit Bier oder Most, Samstag: Schmalzkoch. Sonntag bekamen die Gesellen abends nichts, weil ihnen 14 kr. Nachtmahl geld gegeben wurden. Die Arbeitszeit war an Wochentagen von 4 Uhr früh bis 7 Uhr abends, an Montagen von 5 Uhr früh bis 4 Uhr nachmittags, an Samstagen von 3 Uhr früh bis 3 Uhr nachmittags. An Wochentagen sind die Gesellen niemals ins Gasthaus gegangen, sondern saßen gemütlich in der Werkstätte bei¬ sammen, spielten Karten, oder sangen liebe alte heimische Volkslieder. Nur der Meister besuchte hie und da einen „Bür¬ gertag“. Eine nunmehr fast ganz ver¬ schwundene schöne Sitte war damals all¬ gemein verbreitet: Nach getaner Arbeit saßen an schönen Frühlings= und Som¬ merabenden die Leute einträchtig auf den Hausbänken, plauderten, scherzten und sangen, bis um 9 Uhr die Haus¬ tore gesperrt wurden und alles den Schlaf suchte, weil ja am frühesten Mor¬ gen die Arbeit alle stark finden mußte. An Sonntagen und Montagen wur¬ den die von den Meistern sonst strenge gehandhabten Zügel etwas gelockert. Die Lehrbuben allerdings hatten den gan¬ zen Sonntag eigentlich nicht frei. Vor¬ mittag war Kirchgang, von 1 bis ½3 Uhr Sonntagsschule, dann Christenlehre und Segen und schließlich gab es aller¬ lei häusliche Arbeiten, Beschäftigung mit den kleinen Kindern, Herrichten der Arbeiten für den nächsten Tag und vieles andere. Die Lehrlinge bekamen das Abendessen und hatten dann bis 8 Uhr frei. Für die Gesellen war der Sonn¬ tag ganz frei. Sie gingen meist schon um 6 Uhr früh in die Messe. Vor¬ mittag hierauf gerne auf die Wehr¬ grabeninsel oder in das Stadlmayr¬ holz, wo sie sich mit den auch heute

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