Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

men Schwab und Hönig erblickten und ihnen irgend eine Bosheit antun konnten. Eine ganze Reihe seltsamer Armen¬ hausbewohner, oder sonstiger geistig etwas minder veranlagten Typen gab es damals, welche von der übermütigen Jugend gar manches auszustehen hatten. Da war die „Tscha=tscha“ Kathl, ein altes Weiberl, welches ungemein zornig wurde, wenn die Kinder ihr „Tscha“ zuriefen, oder die ewig betrunkenen Frauenzimmer „Amausennandl“ und die „Gschmeidlmüllner“ Resl, welche unter diesem Namen in ganz Steyr bekannt waren. Unter den „Herren“ waren beson¬ ders bekannt der „Backenbart“, Adam und der „Hanter“ beide verwildert¬ Waldmenschen, welche sich im Stadlmayr¬ oder Wolfingerwald oder in einer Höhle des Dachsberges aufhielten, sich von Kräutern oder Tieren nährten, die ihnen das Hochwasser der Enns und Steyr zutrug, von denen man überhaupt die wirklichen Namen gar nicht kannte und die trotz ihrer Verwilderung harmlos und daher das Spielzeug der Buben waren. Da waren noch viele andere, wie der „Blinde“ Sepperl der von einem Fenster des „Herrenhauses“ abends Pre¬ digten hielt, oder der „Nen¬nen“ Tonl, der „Klaubauf“ Sepperl, der alles, was er auf der Straße fand „aufklaubte“ und heimtrug und endlich der „Hena' Poldl, der jedem sagte, wie viel Geld er wert sei, was sich natürlich nach der Größe des ihm gegebenen Almosens richtete. Nach diesem kleinen Abstecher treten wir aber ein in die trauliche Werkstätte eines biederen Messerermeisters. Schmiede und Feilenstube bilden einen einzigen Raum, in dem die „Esse“, mehrere Ambosse, die „Feilbank“ und eine große „Boding“ zum „Härten“ des Stahles stehen, was damals nur mit Wasser erreicht werden mußte. Das „Anlaufen“ des Stahles, blau oder gelb, wurde in den sog. „Ablaßpfannen“ bewerkstelligt. 101 Mit Hilfe eines „Models“, der „Ge¬ senge“ hieß und von denen jeder Mei¬ ster für die verschiedenen Formen 200 bis 300 besitzen mußte, wurden Messer und Gabeln erzeugt; mit Hilfe einer Presse entstanden die Gabelzinken. Lei¬ der waren die Meister allen Neuerun¬ gen, z. B. praktischen Pressen, abgeneigt, was später zu ihrem Untergange wesent¬ lich beitrug. — Ueber der Esse hingen Zangen und Hämmer in allerlei Ge¬ stalten und Größen. 1 Das Eisen und der Stahl wurden meist aus dem steirischen Erzberg, da¬ mals „Innerberg“ genannt, oder aus Klein=Hollenstein bezogen, durch die „Eisenflöße“ auf der Enns nach Steyr zu den Großkaufleuten gebracht, zu deren hervorragendsten die Firmen Schönthan, Bermannschläger, Redtenbacher und Wick¬ hoff gehörten. Von diesen kauften die Meister die Waren. Der Meister hat gewöhnlich abends schon den Stahl ausgesucht und den Lehrbuben die Gattung angesagt, welche sie für den nächsten Tag bereit machen mußten. Der Meister stand als erster am Morgen auf und weckte um 4 Uhr früh zuerst die Gesellen, welche meist am Dachboden schliefen, wo sich auch ihre Truhe mit dem Gewand und sonstigen Habseligkeiten befanden. „In Gottes¬ namen, Aufstehn! 4 Uhr ist's!“ war die gewöhnliche Weckformel. Gewöhnlich hatten die Meister zwei oder drei Lehr¬ buben, ein Mädchen für die Küche und eines, welches in der Werkstätte helfen mußte und die fertiggestellten Gabeln und Messer in kleinen Körbchen, „Sim¬ perl“ genannt, einlegte. Der Lohn betrug für die besseren Gesellen und Schmieder wöchentlich 3 fl. 50 kr. bis 4 fl.; für die anderen 1 fl. 50 kr. Die Lehrbuben erhielten im ersten Jahre wöchentlich 10 kr., später bis 50 kr. Eine erste Poliererin hatte 70 kr. Wo¬ chenlohn. Da die Schulzeit damals bloß sechs Jahre dauerte, kamen die Buben schon mit elf oder zwölf Jahren in die Lehre,

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2