Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1919

98 Auch so manche besondere Typen be¬ fanden sich unter ihnen, wie der als Vielesser berühmte „Fröhlich Sepperl“ vom Wieserfeld und der „Liebenbrunner“ mit dem großen Kopf. Die fertigen Waren wurden auf dem Stadtplatz den Großkaufleuten überge¬ ben, welche sie in alle Welt versen¬ deten, hatten ja sogar in Venedig die Steyrer Zünfte eine eigene Warennie¬ derlage in dem noch heute bestehenden Palast „Fondaco dei Tedeschi“ am Canale grande. Für die Sierninger und Sierning¬ hofener Messerer wurde das Rohmate ial in das „Bürgerspital“ getragen, was die Lehrbuben besorgen mußten. Da kamen die Meister herein und holten sich die Waren ab, um sie weiter zu verarbeiten. In der sog. „Emoanstubn“ waren lange Tische aufgestellt, wo die Waren, mit den Preiszetteln bezeichnet, aufgestapelt waren. Sonntag nach dem Essen wurde in den meisten Geschäftshäusern „abge¬ rechnet“ und zwar im „Stüberl“ des Meisters. Dort mußten auch alle An¬ gestellten ihren Wochenlohn holen, einer nach dem andern, und sich dafür be¬ danken. Die Verwaltung der Zünfte war zu damaliger Zeit derart beschaffen, daß aus den Meistern ein sog. „Zöchmeister“ und zwei Beisitzer gewählt wurden, welche die ganzen Innungsgeschäfte Krankenkasseangelegenheiten usw. führen mußten. Der erste der Gesellen hieß der „Vürgeselle“. Der Sitz der Innung war früher bei der „Kanone“ und später durch lange Zeit beim „Stern“ in der Gleinkergasse, wo auch die „Herberge“ für wandernde Messerer war und Wert¬ sachen der Zunft aufbewahrt wurden. Mit fröhlicher Erwartung wurde all¬ jährlich dem „Aufdingen“ und dem „Freisprechen“ entgegengesehen, was stets am sog. „Jahrtag“, Sonntag nach Sankt Michael, unter allerlei lieben Bräuchen vorsichging. Wie strenge man damals vorging, um tüchtige Handwerker zu er¬ ziehen, erhellt daraus, daß die Lehrlinge erst nach zweijähriger Lehrzeit des „Auf¬ dingens“ für würdig befunden wurden. Erwartungsvoll wanderten die festlich ge¬ kleideten Lehrlinge an diesem Tage in die Wohnung des „Zöchmeisters“, der das Aufdingen vornahm. Mit scheuer Ehrfurcht traten sie zur „Meisterlade“ hin, welche schön eingelegt, politiert, mit Säulen und Schnitzwerk, sowie mit drei mächtigen Kunstschlössern verziert war, für welche der „Zöchmeister“ und seine zwei Beisitzer die Schlüssel besaßen. Die Gesellen besaßen eine eigene Lade, welche der „Vürgeselle“ in Verwahrung hatte Die Meisterlade enthielt auch die wich¬ tigsten Innungsschriftstücke. Der „Zöch¬ meister“ besah mit strengen Augen die Schulzeugnisse der Aufzudingenden, er¬ teilte ihnen gute Lehren, trug ihre Na¬ men ein, dann mußte jeder 4 Gulden in die Innungslade legen und damit war die erste Stufe der Rangleiter in der Zunft erreicht. Noch feierlicher aber war nach aber maliger zweijähriger Lehrzeit das „Frei¬ sprechen“. Vorher mußten die Lehrlinge, welche freigesprochen werden sollten, das Ge¬ sellenstück machen, unter Aufsicht zweier Meister als „Bürgen“ und unter Bei¬ sein des „Vürgesellen“. Wenn der Jahr¬ tagsonntag heranrückte, war alles schon in festlicher Stimmung und Aufregung Schon daheim wurden die Lehrlinge mit Braten bewirtet, dann wählten sie aus den Gesellen der Werkstätte einen „Ge¬ sellenvater“, der die Lehrlinge beim Freisprechen vorstellen mußte. Der Mei¬ ster hat dem Buben und dem Gesellen vater einen recht großen „Buschen“ aus künstlichen Blumen gekauft, dann nahmen die Lehrlinge ihr Gesellenstück und wan¬ derten unter lustigem Geplauder zum „Zöchmeister“ wo um 1 Uhr „der Frei¬ spruch vor offener Lade“ erfolgte. Im besseren Zimmer des „Zöchmeisters“ hatten sich schon die anderen Meister der Zunft versammelt, das Gesellenstück jedes einzelnen ging von Hand zu Hand und

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