Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

kungslos gewesen zu sein. Die überwach¬ senen Wällen erinnern kaum an Kampf. Ein bequemer Weg, mit Weisern und Tafeln wie zu Hause unter der Obhut eines braven Verschönerungsvereins, von unsern Leuten angelegt, führt zu einigen Unterständen auf der der Front zuge¬ kehrten Seite. Von da sieht man schon recht nahe die Türme der hohen Kirche von Reims, die nach den Berichten un¬ srer Feinde längst in Trümmern liegen müßte. Auf dem Wall selbst sich zu zei¬ gen, ist an klaren Tagen nicht ratsam. Ein andermal führen uns unsre Freunde in eine Artilleriestellung. In gemütlichen, nach Holzfeuer duftenden Unterständen hausten die Kameraden aus Norddeutschland, die von Zeit zu Zeit Grüße in die feindlichen Schützengräben sandten. Seltsam, daß sich solche eigent¬ lich doch wenig dem blutigen Handwerk entsprechenden freundlichen Vergleiche aufdrängen: die flotte, sichere, saubere Arbeit der Geschütze, der mathematisch bestimmte Flug der Geschosse, ihr eigen¬ tümlich heller, sausend=schwirrender Ton, dazu der weite Blick ins Gelände, das ja der Hauptgegenstand aller Aufmerk¬ samkeit vom Morgen bis zum Abend ist das alles hat etwas seltsam Freudiges, das sich auch in den Augen der Leute spiegelt und in ihrem guten Humor sich kundgibt, sowie sie etwas Ruhe haben. Es ist etwas von Spiel, etwas Jugend¬ liches und Zweckbefreites dabei — in selt¬ samen Widerspruch zu dem strengen, töd¬ lichen Ziel. Die stete, hier freilich nicht große Gefahr wirkt zuerst ähnlich wie eine „gesegnete“ Stelle im Hochgebirge. Man denkt an Steinschlag und freien Blick in die Tiefe. Die schöne Abend¬ stunde, in der wir uns einstellen, war die Zeit täglicher Regsamkeit. Von drü¬ ben kamen über uns durch den klaren Spätherbst= oder Vorfrühlingshimmel (denn Winter wollte es nicht werden) die Besucher geschwirrt und hinter uns bei einer verlassenen Farm stiegen die lu¬ stigen weißen Rauchsäulen auf. „Da geht wohl wieder einer über die Straße", 391 meinten unsre Kanoniere ironisch. Sie machen sich lustig über die amerikanisch genährte Munitionsverschwendung der Franzosen, die freilich an manchen Stel¬ len auch schlimm genug wirtschaftet. Aus dem Schützengraben vorn telephoniert der Leutnant: sofort kommt straffes Leben in die gemütlich lungernden Kameraden, Befehle gehn von Mann zu Mann, „Max und Moritz“ wie die beiden Ge¬ schütze heißen, speien eine rasche Flamme und rennen in Krebsrichtung die schräg gelegten Laufbretter hinauf, in den Lüf¬ ten singt ein hoher Ton, der sich rasch entfernt. Ringsum, vor uns und hinter uns rollt, donnert, dröhnt es hell und dumpf, wie ein Reigen bald zorniger. bald übermütiger Wetter geht es über die Höhen und weiten Flächen. Nach einer halben Stunde ist's wieder still, die Dämmerung sinkt, unsre Leute schicken sich mit Scherzen zum Essenholen an. Sie haben's alle auch schon anders gehabt und wissen sehr wohl, daß es auch an¬ dre Abende gibt und geben wird als diesen. Aber es ist wunderbar, wie wenig sie von allen Schrecknissen bis in die Seele dringen lassen. Alles darf nur die Nerven angehn, die man herrisch=soldatisch meistert, in dem Stil, in dem man tag¬ aus, tagein lebt. Ein Heroismus, der selbstverständlich wird bis zum Kalauern, solange nicht gerade die Granaten den nächsten tzerstückeln. Durch zerschossene Dörfer, in denen die Reserven liegen, zum Teil in Kellern untergebracht, an frischen Granatenlöchern vorbei — die Franzosen töten in diesen Dörfern viel von ihrem eignen unschul¬ digen Zivil — von Posten begrüßt und weitergewiesen, suchen wir uns den Weg zum Schützengraben. Eine halbe Stunde lang gehen wir einen Bahndamm entlang in einem Laufgraben mit den üblichen Querriegeln. Ein Sanitätsunteroffizier schließt sich uns an, zeigt uns den behag¬ lichen Unterschlupf, den ein paar Kame¬ raden sich unter einem Bahnübergang zu¬ rechtgemacht haben — den Ausgang hat sich der „Meisterschütz von B.“ der auf

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