Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

Bodens und der Kultur nach aller Mög¬ lichkeit geschont werden. So hat sich denn auch mit den Bewohnern, die zurückge¬ blieben sind, fast nur kleinen Leuten, ein wunderliches Verhältnis herausgebildet, das vielleicht ein wenig sich aus den Er¬ innerungen an Siebzig erklärt. „C’est la guerre“ sagen sie alle Augenblicke und passen sich dem Zustand mit einer Gewandtheit an, die im Zweifel darüber läßt, wie sie über ihre Gäste denken. Manchmal bildet sich eine ganz rührende gegenseitige Hilfsbereitschaft heraus, un¬ sre Soldaten ernähren ja die Bevölke¬ rung so gut wie ganz, wofür diese oft einen für unsre Begriffe fast würdelosen Diensteifer entwickelt. Besonders fremd Gott sei Dank — mutet das Ver¬ halten der Weiblichkeit an. Auch hoffen wir nicht, daß deutsche Jungen sich in ähnlicher Lage so benehmen würden, wie ich es bei einem vierzehnjährigen, sehr intelligenten Marcel sah, der für ein Stückchen Schokolade deutschen Offizieren mit „Nieder die Engländer!“ und ähn¬ lichen Sprüchlein schmeichelte: freilich auch in einem ironisch=gerissenen Ton, der unsern Jungen nicht überall zur Ver¬ fügung stünde. Besser Gestellte sah ich die traditionelle französische Verachtung gegen uns Barbaren hinter klug gewähl¬ ten Formen gerade so verstecken, daß nur solche sie gewahren konnten, die wie¬ der hoch genug standen, darauf nicht zu erwidern. Aber ich sah auch brave alte weinen, als ihre deutsche Einquartierung fortzog. „Wovon sollen wir jetzt leben? Er war ja so gut zu uns, Monsieur Schulze. Die Lügen über die deutschen Greuel hatten ja trotz ihrer überseeischen Aus¬ flüge sehr kurze Beine und sind jetzt schon erledigt. Aber auch der letzte Rest davon müßte sich schmählich verkriechen, wenn ein ehrlicher und doch so feindlicher Beobachter unsre Mannschaften in diesem wohlorganisierten Hinterland sähe. Von diesen Leuten haben sehr viele Belgien und die erste Sturmzeit mitgemacht in aller Leidenschaft und Gewalt jenes un¬ 389 menschlich entstellten Kampfes; mit dem irregeleiteten Volke konnten diese Men¬ schen unmöglich an jene „Greuel“ auch nur denken, von denen monatelang die englischen braven Familienblätter gelebt haben. Erschauern kann man aber beim Anblick dieser verödeten Dörfer, halbzer¬ störten Städte, verelendeten, von unsern Soldaten vor dem Aergsten geretteten Bewohner, — wenn man einen Augen¬ blick sich vorstellt, die Feinde wären in unserm Westen. Die Nörgler sollten nur einmal dieses mühsam sich erholende, un¬ glückliche Land sehen und daran denken, was die französischen Blätter in hyste rischer Tollheit uns für den Fall eines französischen Sieges androhen: dann wür den sie dankbarer die ungeheure Leistung anerkennen, die unser Heer damit voll¬ brachte, daß es den Kampf in Feindesge¬ biet verlegte. * * Ein glücklicher Zufall gibt uns die Möglichkeit, mehrmals bis an die Front zu kommen. Mit ein paar „Lanzern“, die gut Bescheid wissen, suchten wir zunächst eins der eroberten Forts in der Nähe auf. Durch die sauber aufgeräumten, ge schmückten Hügel geht's auf einen um¬ buschten flachen Hügel zu. Wir kommen oft an ganz regelmäßigen, kurzen Wald¬ streifen vorbei, die offenbar als Ent¬ fernungsmesser gepflanzt sind und das Gelände weit ringsum kennzeichnen. Schü¬ tzengräben, nur flach und flüchtig ange legt, weisen auf einen kurzen Kampf Granaten liegen da und dort umher, meist englische, wie unsre Führer erklären. Unvermutet stehen wir vor dem tiefen Graben, an dem sich verbrannte Reste von Holzleitern finden. Das Innere der veralteten Festung ist fast unversehrt. Ein paar Granatenlöcher zeigten die Richtung an, von der unsre Truppen kamen. Alle die nach früheren Begriffen rafffinierten Bauten, mit zwei Kasematten unterein¬ ander, mit doppelten, von der Seite be¬ streichbaren Gräben, scheinen völlig wir¬

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