Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

Stürmer wohnte mit ihrem einzigen Kinde in der Rothengasse. Dort hatte der junge Rehm, als er im Auftrag des Vaters mit dem Besitzer wegen Ankaufs des Hauses verhandelte, das schöne Mäd¬ chen kennen und bald auch lieben ge¬ lernt. Frau Stürmer freilich hatte die Toch¬ ter von Anfang an vor diesem aussichts¬ losen Verhältnisse gewarnt. Auf eine Einwilligung des reichen, geldstolzen Kaufmanns war nie zu hoffen, wenn auch sein Großvater, der den Grund zu dem großen Geschäfte gelegt, als Hau¬ sierer begonnen hatte. Albert indessen war nach dem frü¬ hen Tode der Mutter vom Vater ver¬ zogen worden, in allem hatte man ihn gewähren lassen, und als er jetzt zum ersten Male auf eisernen Widerstand stieß, wollte auch sein verwöhnter Wille sich nicht beugen. Paula, die der alte Rehm auch nur zu sehen sich geweigert hatte, litt am schwersten unter dem zwischen Vater und Sohn entstandenen Konflikt. Sie war be¬ reit, zu entsagen, aber Alberts leiden¬ schaftliche Liebe wollte nichts davon wissen. „Mein mußt Du werden, und wenn mich der Alte aus dem Hause stieße, hatte er gelobt. Doch ehe es zum Aeußer¬ sten gekommen, war seine Einberufung erfolgt. Monate waren nun schon vergangen, seit er sich an der Front befand. Das freundliche, sonnige Stübchen mit dem alten Sofa, den weißen Gardinen, den Blumen und dem Kanarienvogel, das sonst ihre Welt gewesen, war dem jungen Mädchen öde und leer geworden. Nur Alberts Briefe warfen von Zeit zu Zeit flüchtige Lichtstrahlen in das trübe Dun¬ kel ihres jetzigen Lebens. Seit Wochen aber blieben auch diese aus, und von Stunde zu Stunde wuchs Paulas Angst. Die Mutter betrachtete mit Sorge ihre blasser und schmaler werdenden Wangen. Heimlich hatte sie einen sündhaften Ge¬ danken. Das beste war es, wenn Rehm nicht wiederkehrte. Den toten Geliebten 377 würde ihr armes Kind eher vergessen, als den lebenden, der ihr unerreichbar blieb. Eines Morgens kehrte Frau Stür¬ mer, die auf den Markt gegangen, bleich und verstört zurück. „Was ist geschehen, Mutter?“ fragte das Mädchen in banger Ahnung, wäh¬ rend die Stickerei ihren Händen entsank. „Nichts, nichts, es wird nur ein Ge¬ rücht sein. Paula umklammerte ihre Hände. „Sage mir alles, ich muß es wissen, nicht wahr, tot ist er, tot?“ „Auf dem Markte wurde es erzählt, —“ Erschrocken aber da ist schon vieles hielt sie inne. Die Tochter hörte es nicht mehr, bewußtlos war sie auf das Sofa geglitten. Erst gegen Abend hatte Paula sich soweit erholt, daß sie die Mutter mit erzwungener Fassung anhören konnte. Das traurige Schicksal des jungen Rehm beschäftigte die ganze Stadt. An¬ fangs war er als vermißt gemeldet ge¬ wesen, aber der schwer beunruhigte Va¬ ter hatte alle erdenklichen Mittel ver sucht, um Näheres zu erfahren. Und nun war endlich die Wahrheit heraus¬ gekommen. Ein Unteroffizier von einem anderen Regimente, das gleichzeitig mit dem seinen gegen einen französischen Graben vorgestürmt, hatte den ihm flüch¬ tig bekannten Gefreiten umsinken sehen Zusammen mit anderen den Heldentod gestorbenen Kameraden war Albert spä¬ ter vom Feinde begraben und dann das Grab in den Besitz der vordringenen Deutschen gekommen. Der Hügel, den ein schlichtes Holzkreuz schmückte, wurde auf Verlangen geöffnet. Die Toten waren nicht mehr erkennbar, aber in der Tasche des einen fand sich Alberts Erkennungs¬ marke. Der Granatsplitter, der ihn ge¬ troffen, mochte sie abgerissen, der Ster¬ bende sie dort geborgen haben. So war an der traurigen Gewißheit nicht mehr zu zweifeln, und der tiefgebeugte Vater hatte nur noch den einen Wunsch, seinen einzigen Sohn und Erben in der Heimat

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