Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

375 zier seinen Arm um die Hüfte ihrer Die beiden waren stehen geblieben, Freundin legte, sie an sich zog und küßte. Ulrich zog Lores Hand an seine Lippen Absichtlich blieb sie noch ein ganzes Weil¬ und küßte sie. chen zurück, denn sie hatte ein gutes Herz Martha Krüger hob den Kopf. Sie und wollte das jüngste Brautpaar im hörte da vorn die beiden lebhaft mit¬ Riesengebirge bei seiner ersten Umarmung einander sprechen, und plötzlich sah sie nicht stören. Offi¬ zu ihrem großen Erstaunen, wie der Die Stunde kommt. Erzählung von Franz Wichmann. Nachdruck verboten. transport nach dem Westen abgehen ch gehe jetzt, Papa.“ sollte, wiederholte er sich noch einmal, Zögernd blieb Albert Rehm in was er sich gestern geschworen. Für der Tür stehen. Würde der Vater ihn immer blieb das Band zwischen Vater nicht doch noch begleiten? Ein Abschied und Sohn zerrissen, solange nicht das für immer konnte es sein. Aber der Bruch schändliche Wort zurückgenommen war. schien unheilbar. Nur flüchtig blickte der Das Blut schäumte kochend in ihm auf, Kommerzienrat vom Schreibpult auf. wenn er daran dachte. — Eine Dirne „Es ist gut. Adieu!“ hatte sie der Vater genannt Albert vermochte es nicht zu fassen. eine Dirne! — Und warum? Weil Reichtum „Und sonst hast Du mir nichts mehr zu und Ansehen sein Herz zu Stein ver¬ sagen, Papa?“ würgte er bleich vor Er¬ härteten gegenüber einem armen, doch regung heraus. braven Mädchen. Weil es ihm als „Höchstens das eine, daß Deine Er¬ Schande erschien, daß Paula durch ihre ahrungen draußen im Felde Dich bessern, Hände Arbeit ihre alte kränkliche Mutter Dich anders über das Leben denken leh¬ ren mögen.“ am Leben erhielt, weil sein Sohn nur eine der reichsten Töchter der Stadt freien „Ueber Paula niemals!“ durfte! Bis zum letzten Augenblick hatte Die elastische Gestalt in der feld¬ Albert geglaubt, daß der Vater sein grauen Uniform reckte sich starr empor. Unrecht einsehen und bereuen würde. Nur „Nun, ich denke, dann wären wir um ihn nicht von neuem zu reizen, hatte fertig,“ klang es eisig kalt. Die Stimmedes Sohnes zitterte. er Paula verboten, zum Abschied an den Bahnhof zu kommen. Nun hatte er sich „Ist das Dein letztes Wort?“ zwecklos auch um diesen letzten Trost ge¬ „Mein letztes.“ Die Augen des alten Rehm irrten bracht. über Trotzig, erhobenen Hauptes trat er Geschäftsbücher und Rechnungen hin, in die Reihe der Kameraden. Es ging ja seineFeder zog in harten Zügen über hinaus, dem Tode entgegen. Wozu ans das Papier. Morgen denken, da niemand wußte, ob So bleibt es auch bei dem meinen. er das Ende des Heute erleben würde. Du weißt, was ich Dir gestern sagte. Glück war seinem Leben nicht beschieden. Nie werde ich es widerrufen.“ Mochte es wenigstens dem Heile des Va¬ Eine Antwort erfolgte nicht mehr. terlands dienen! Die Tür fiel zu, der Abschied war vor¬ über. Die Witwe des in ärmlichen Ver¬ Während Albert allein dem Bahn¬ hältnissen verstorbenen Musiklehrers hof zueilte, von dem der neue Truppen¬

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2