Ewigkeit — war verstrichen. Doch den Leuten schien die Zeit zu kurz, denn nicht alle hatten sie genau beschaut oder konnten sie anspucken. Wer das fragliche Glück hatte, dem, war es zu kurz. Aber¬ mals traten Landsknechte aus dem Hir¬ schenhaus, um die Arme einzuholen. Vom Pranger abgekettet, ins Haus rückgeführt, drängte sich die fluchende Menge nach. Mit Mühe konnte das schwereiserne Haustor geschlossen werden. Darinnen waren inzwischen die letzten Vorbe¬ reitung getroffen worden. Vom Stadt¬ pfarrturm wimmerte die Armsünderglocke und die Menge war auf dem Augenblick gespannt, in dem sich das Tor öffnete und das Sünderwagerl sichbar wurde. Landsknechte drängten das Volk zurück, das Tor schloß sich auf und ein dürrer Gaul zog das Wagerl mit der Ploni. Ihr zur Seite saß der Kaplan Wolf (Wolfgang) Lampl, der ihr tröstende Worte zusprach und das Kruzifir an die Lippen hielt. Entgegengesetzt saß im scharlachroten Wams der Henker. Der Anblick des Geistlichen und der reu¬ mütigen Sünderin, welche unaufhörlich das Kruzifir küßte, stimmte das Volk um. Man fühlte Erbarmen mit der Ploni und bemitleidigte sie. „Schad' um's Madel. Früher war das Schreinhueber Plonerl a recht braves Madel,“ ging es von Mund zu Mund. „Der schlechte Bursch, der Lump hat die arme Haut verführt und stehen lassen, daß sie sich vor Elend nicht auswußte. Der Lump, der reiche Bauernsohn ist die ganze Schuld, der gehört gerädert,“ schrien die Leute voll Mitleid durcheinander. Der Geistliche ermahnte die Menge für die reumütige Sünderin zu beten und bald folgte betend die Schar. Er sprach ihr zu, in der Sterbestunde zu beten, den Richtern zu vergeben und den Leuten zu verzeihen, wie der göttliche Heiland noch am Kreuz seinen Vater für sie bat, daß er ihnen verzeihen möge, die ihn ver¬ urteilten, kreuzigten und verhöhnten. So ging langsamen Schrittes der Zug durchs Steyr= und Frauentor, am Bruderhaus 363 vorüber. Schon neigte sich die Sonne dem Niedergang zu und sandte liebend ihre letzten Strahlen auf die einzelnstehen¬ den Häuser der Sierningerstraße. Wo ein altes Mütterlein durchs Fenster den traurigen Zug beschaute, schlug sie das Kreuz und betete für die arme Sünderin, welche ihre Schuld so schwer zu büßen hatte. Doch die Ploni achtete nicht ihrer. Unentwegt schaute sie zum felsigen Dachs¬ berg, welchen die Sonne vergoldete und dachte an die schönen Stunden ihrer Kindheit und Jugend, welche sie auf seiner Höhe verbrachte. Es zogen an ihr Bilder der Kinderjahre vorüber. Dort hatte esie gespielt mit Mädchen, welche glücklich verheiratet waren. Beim mäch¬ tigen Eichenbaum hatte ihr der Geliebte Treue geschworen und selige Stunden mit ihm verlebt. Doch der Schimmer trügte. Er hatte sie schnöde verlassen und ins Elend gestürzt. Verzweiflung überkam sie und so wurde sie Mörderin ihres Kindes. Sie schaute ununterbrochen zur Höhe. Das Kruzifir hatte sie in den gesalteten Händen, doch ihre Lippen wußten nichts von Gebet. Der besorgte Kaplan nahm ihr das Sterbekreuz aus den Händen und hielt es zum Kuß an ihre schmerzlich ge¬ preßten Lippen. „Schau Ploni, der Hei¬ land kommt bald zu dir, um dich zu holen,“ sagte wehmütig, fast weinend der Geistliche. Ploni zuckte zusammen. „Ja, der Heiland wird bald kommen,“ tröstete er sie. In Wahrheit war schon das Herren¬ haus*) erreicht. Alte Männlein und Weiblein schauten aus den kleinen Fen¬ stern. „Die arme Ploni,“ tönte es weinerlich von ihren Lippen. Damit war Steyrs letztes Haus erreicht. Von Ferne winkte das steinerne Marterl, welches sich vom rückwärtsbefindlichen Föhrenschacher gespensterhaft abhob. Nächst dem Bild¬ stöckel stand der aus drei stehenden und drei liegenden Balken gebildete Galgen, das Wahrzeichen des peinlichen Hochge¬ richtes der Stadt Steyr. Von Raben zer¬ *) Ist eines der Versorgungshäuser für Angehörige der Stadt.
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