Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

314 „Ihre 5 Pfund Sterling?“ geiferte der alte John Bull. „He! Policeman!“ Er winkte einem alten Manne, der in einer schäbigen Uniform und einem zer¬ beulten Filzhelm die hohe Dorfpolizei darstellte. „Nehmen Sie den jungen Menschen fest. Prüfen Sie seine Pa¬ piere. Er hat deutsch gesprochen Nehmen Sie den Deutschen fest, sage ich!“ „Zeigen Sie Ihre Papiere!“ sagte der alte Mann, dem der Schreck, plötz¬ lich einen derartigen Feind vor sich zu haben, so in die Glieder fuhr, daß ihm die Hände zitterten. Heinz, der alte Engländer und der Policeman standen in der Mitte eines Kreises von Fischern, Weibern und Kin dern. Zu ihnen trat Edith, die Kellnerin „Das ist ein Deutscher?“ rief sie mit flammenden Augen. Nein! Das ist ein Schiffbrüchiger und der Führer dieses Bootes, der uns alle gerettet hat, der auch diesen alten englischen Herin ge¬ rettet hat, der ohne ihn auch da unten liegen würde.“ Ein Murmeln und Raunen ging unter den Fischern um. 7 „Die Papiere sind in Ordnung,“ sagte der Policeman, der seine Ruhe zurückgewonnen hatte. „Es sind amerika¬ nische Papiere.“ „So?“ versetzte John Bull. „Was verstehen Sie denn davon? Ich verlange, daß die Papiere höheren Ortes geprüft werden und daß der Mann so lange festgesetzt wird.“ Ein vierschrötiger Fischer trat vor. „Mögen sie in England die Schiff¬ brüchigen erst untersuchen,“ sagte er, „in Irland wird, man sie erst verpflegen. Das sage ich!“ Eine lebhafte Zustimmung wurde laut. Mit Lachen und Fluchen wurde der alte Englishman beiseite gestoßen; alle führten die Schiffbrüchigen, die völ¬ lig durchnäßt, verhungert und halb er¬ froren waren, ins Wirtshaus. Der alte Engländer gab keine Ruhe. Er hängte sich sofort an den Fernspre¬ cher und verlangte die Verbindung mit dem Gouverneur. Heinz sah, daß seine Entdeckung sicher war. Mutlos saß er am Tische. Eine leichte Hand legte sich auf seine Schulter: Edith, die Kellnerin. „Ich helfe Ihnen,“ flüsterte sie. „Wir helfen Ihnen alle!“ Triumphierend kam John Bull zu¬ rück. „Policeman!“ rief er, „Sie sollen an den Fernsprecher kommen!“ Widerwillig trottete der an den Hörer. „Um halb 12 kommt ein höherer Regierungsbeamter,“ sagte er zu den Umstehenden, „und wird die Pässe nach¬ prüfen. Es sind amerikanische Papiere, Gott, soll meine Augen verdammen.“ „Na also!“ sagte der vierschrötige Fischer und lachte. „Unser alter Patrik versteht das am besten. Er hat noch nie einen Deutschen mit einem Amerikaner verwechselt.“ Alle lachten mit irischer Fröhlichkeit. John Bull saß indes an seinem Tisch allein für sich und schielte über den Rand seiner Tasse. Edith aber ging zu den Fischern und sprach mit diesem und jenem. „Es wird Zeit, daß Sie in ein warmes Bett kommen,“ bemerkte der Wirt zu John Bull. „Ein Zimmer ist für Sie zurechtgemacht.“ Zu Heinz aber trat jener Fischer. „Ich segle mit meinem Logger auf den Heringsfang,“ sagte er leise. „Könnte einen fixen Bootsmann brauchen! Heinz sprang auf, schlug in die dar¬ gebotene Rechte, glückselig! Eine Stunde später fuhr Heinz an Bord des Heringsloggers aus, just als das Auto mit dem höheren Regierungs¬ vertreter vor dem Wirtshaus hielt. Sechs Tage kreuzten Sie auf hoher See. Dann trat Heinz an Bord eines deutschen Torpedojägers, der ihn über¬ nommen hatte, die glückliche Heim¬ fahrt an.

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