Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

und verschwand in den Fluten. Keine Möglichkeit mehr, an Bord genommen zu werden! Heinz sah sich gezwungen, weiter den Schutzengel dieses reizenden alten Herrn zu spielen. Die Boote setzten Segel, auch Heinz. Doch Wind und Wellen und die starke Meeresströmng führten sie mehr und mehr auseinander. Bald war Heinz allein. Abenteuerliche Pläne schossen durch seinen Sinn. Wenn er anstatt die irische Küste die hohe See gewänne, wenn er bis zur flandrischen Küste hinübersegelte? Ach! Das war ein Riesenweg für ein so gebrechliches Fahrzeug; er würde zu¬ dem sein Ziel nicht erreichen, unzählige Wach= und Patrouillenboote sperrten so den Kanal. Entging er dem einen, griff das andere ihn auf. Er mußte sich in sein Schicksal er¬ geben, statt in amerikanischer Absperrunz in englischer Gefangenschaft zu sitzen. Der Morgen graute nach langen, endlosen Stunden mit Mark erschauern der Kühle. Die See ging hoch und schwer. Eine starke Strömung stand an. Sie segelten eben unter dem Vorgebirge hin, das nicht mehr als ein ferner Höhenzug, sondern auf kaum eine See meile als eine grün bewachsene Kuppe aus der See wuchs. Am Fuße des Vor¬ gebirges lag mit kleinen Häuschen und roten Ziegeldächern, wie aus der Spiel¬ zeugschachtel genommen, ein Dorf oder Flecken. Heinz merkte, daß er sein Boot nicht an dem Vorgebirge vorbeibringen würde. Eine furchtbare See stand hier. In den Wogen sah er einen weißen Gegenstand treiben: eines der andern Boote der Massachusettes: kieloberst. Er verzichtete auf das Anlaufen des Hafens, der jenseits des Vorgebirges lag, wendete mit schneidigem Manöver und hielt gerade auf das kleine Fischer¬ dorf zu. „Hallo!“ krächzte der alte Englän¬ der, „was soll das? Warum bringen 313 Sie uns nicht nach Cork? Da ist wenig¬ stens Eisenbahn.“ Heinz erwiderte überhaupt nichts. Er deutete nur nach dem kieloberst trei¬ benden Boote. Bestürzt gewahrte es der alte John Bull. „Goddam!“ brummte er unwirsch „Jedenfalls bringen Sie mich an Land. Ich bin halb oder dreiviertel verklammt. Diese verfluchten U=Boote! Diese ver¬ fluchten Deutschen!“ Heinz konnte sich nicht enthalten, ein kurzes, hartes Lachen hören zu lassen. Die schlanke Irin, die bisher völlig er¬ schöpft im Boot gelegen, richtete sich auf warf ihm einen warnenden Blick zu. Auch der alte Engländer gönnte Heinz einen Blick. Aber einen keineswegs freundlichen. „Sie lachen, junger Mann!“ sagte er. „Sie scheinen ja große Sym¬ pathien für die Deutschen zu haben. Wieder warf die Irin einen warnen¬ den Blick auf Heinz. Dieser hielt es für besser nicht zu antworten. Er wid¬ mete sich ganz der Führung seines Boo¬ tes. Wie ein Hecht schoß dies unter sei¬ ner sichern Hand durch die Wogen, schwere Spritzseen peitschten bis in den Topp des Mastes, aber näher und näher rückte der Strand. Man erkannte schon die Menschen, die sich dort versammel¬ ten; längst hatte man die Schiffbrüchi¬ gen gesichtet. Da knirschte der Sand unter dem Kiel, kräftige Fäuste packten das Boot und zogen es vollends aufs Trockne. Sie waren gerettet. Heinz sah, daß er jetzt energisch den Amerikaner spielen müsse, wollte er die Blöße, die er sich gegeben, ver¬ decken Der alte Engländer war ausge¬ stiegen, gestützt von einem der freund¬ lichen Schiffer. Er packte seine durch¬ näßte Handtasche, die er die ganze Zeit krampfhaft auf den Knien gehalten fester. „Na, Sir,“ sagte Heinz und schlug ihm mit amerikanischer Vertraulichkeit auf die Schulter, „wo bleiben meine 5 Pfund Sterling?

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