Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

Zeiten schicken! 's bleibt uns eben nix anderes übrig! Wann nur die elende Teierung nit sein möcht'!“ An diesem Tage erlebte die alte Aktentasche etwas recht Schmerzliches. Denn ein halbes Pfund rohes Rind¬ fleisch wurde, in ein viel zu dünnes Papier eingepackt, ihr in den schwarzen Leib gestopft und darauf noch ein Pfund Weißkraut, ein paar Bündel Möhren und acht Zwiebeln. Am nächsten Tage war es ein Blumenkohl, ein Paket Ker¬ zen, zwölf Schachteln Streichhölzer und eine neue Stiefelbürste, welche Gegen¬ stände die Aktentasche in die Huber¬ meiersche Wohnung zu befördern hatte. Am drittnächsten Tage wurden 2 Tüten mit Mehl in ihr verstaut, die eine da¬ von war an der Seite angeplatzt, und die Tasche erhielt in ihrem Innern ein kleines Mehlbad. Da Herr Hubermeier merkte, daß etwas von dem Mehl auch die Schlosser'sche Weltgeschichte in seinem Bücherschrank abbekommen hatte, wurde die schleunige Versetzung der Akten¬ tasche, hinaus in die Küche, bewerk¬ stelligt. Dort wurde sie an einem in die Wand eingeschraubten Haken aus Hirschhorn aufgehängt, in ihrer Nähe blinkte bedrohlich das lange Küchenmes¬ ser und baumelten melancholisch ein paar abgenutzte Quirle. Eine etwas andere Gesellschaft als Schlosser und Schiller! Eines Tages geschah ein neues Un¬ glück, der Henkel der Tasche riß und Frau Hubermeter legte ihm seufzend einen Verband in Gestalt eines gewickel¬ ten Bindfadens an. Für die arme Ak¬ tentasche wollte die Leidenszeit kein Ende nehmen. Tagtäglich kam sie ins Freie, bei Wind und Wetter, bei Regen und Schneeschlicker machte sie kleine Luft¬ kuren. Ihr Dasein wurde immer unwür¬ diger. Was mutete man ihr alles zu! Ihr Leinwandfutter wurde zerrissen und befleckt, Kohlrüben mit noch daranhän¬ gender Gartenerde wurden in sie hin¬ eingestopft, dann Sauerkraut, das Flecke hinterließ, die durch das Leder drangen und aussahen, als wenn die Petroleum¬ 309 lampe auf die Mappe gesetzt worden wäre, und eines Tages steckte in der Tasche ein kläglich zerdrücktes Trinkei. Das war zuviel. Laut rief die Tasche aus: „Für den Ruhestand mein ver¬ ehrter Herr Ministerialsekretär a. D., muß ich mich ganz entschieden bedanken! Allerdings habe ich mir den etwas an¬ ders vorgestellt!“ „Ich auch!“ echote es brummend zurück. Es war Vinzenz Hubermeier, der jetzt noch etwas gekrümmter und blässer seit geworden war als vordem und Wochen an einem bösen Schnupfen litt, den er sich bei den ewigen Kettestehen vor den Läden zugezogen hatte. Gram und Kummer nagten an der alten Aktentasche weiter, sie wurde immer schmäler und unansehnlicher, ihr Außen¬ leder schlapp und grau wie ein altes Wischtuch, das Schloß wurde kaputt, in¬ dem es nicht mehr einschnappen wollte, und der zerrissene Henkel bekam einen zweiten Notverband mittelst Blumen¬ draht. Doch schließlich nahte der größte aller Unglücksfälle, der der armen Ak¬ tentasche das ersehnte Ende bereiten ollte. Eines Tages stieg Herr Huber¬ meier mit ihr in einen finsteren Keller hinab. Dort stand ein riesenhaft aus¬ sehender, kohlschwarzer Mann, mit dem Hubermeier eine kurze Zwiesprache hielt. „Na — Herr von Hubermeier guat, daß heit noch komme sind, murgen sein, meine Kohlen alle! Ja — wievüll wulln's denn haben?“ Hubermeier nannte das Quantum von Hausbrandkohle, das er gleich sel¬ ber mitnehmen wollte. „Sie wulln's gleich selber mit¬ nehm'n? Ja — habens denn eh a Sackl — In die Taschen da woll'ns mit? die Kohlen einitun? Ja — wirds denn dera Taschen auch aushaltn und net zer¬ reißen?“ Der unerbittliche Riese stopfte und stopfte die schwarzen Kohlen in die Tasche. Deren Leib weitete sich zusehends,

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