Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

erstehen, was Großmutter und Mutter dem Kinde und jungen Mädchen aus der Vergangenheit erzählt. Auch daß Friedel die Aermchen der Großmutter verlangend entgegengestreckt und gebettelt hatte: „Oma, ta mal Pink machen.“ Die alte Uhr, die war ja immer der Die größte Anziehungspunkt gewesen. hatte dann auch, als Friedel sechs Jahre alt war, den letzten Schlag in Großmut¬ ters Leben getan. Die Mutter hatte das kleine Mädchen an die Hand genommen und es nocheinmal an Großmutters La¬ ger geführt, doch die lag still dort in den Kissen. Die alte Uhr mit ihrem hellen, lustigen Klang stand heute auch so still und stumm. Dem Kinde war ganz beklommen zu Mute, und Mütterlein hatte Friedel schnell hinausgeführt. Mit anderen Sachen aus Großmut¬ ters Nachlaß ar auch die alte Empire¬ uhr in ihr Elternhaus gekommen. Friedel war ein rechtes Puppenmütter¬ chen, all ihre lieben Puppenkinder flo¬ gen beiseite, wenn Amors Arm sich hob, um wieder eine neue Stunde zu verkün¬ den. Dann stand das Kind in atemlosem Lauschen, und ein tiefer Seufzer begleitete den letzten Schlag. Ahnte ihr schon, daß auch in ihrem jungen Leben eine Stunde unwiederbringlich dahingeschwunden?“ Wie leicht geht sich's ins Leben hinein, behütet von treuen Elternhänden. Sorglos wuchs Friedel heran, und aus dem kleinen Puppenmütterchen war schon ein großes, schönes Mädchen geworden. Das empfand im stillen Entzücken der junge Student Paul Farnholt, ein Freund von Friedels Bruder. Gar mancher Schlag der alten Uhr tönte in das Zusammensein der beiden jungen Menschenkinder. Durch die schwache Ge¬ sundheit ihres Bruders Fritz hatte Frie¬ del von ihm keine Hilfe bei ihren Schul¬ aufgaben zu erwarten. Dagegen Paul Farnholt, wie gerne saß der mit Friedel über ihren Büchern. Wenn dabei im Eifer ihre blonden Kraushärchen seine Wange streiften, was fragte Paul dann nach seinen Kommilitonen, ein dankbarer 287 Blick aus Friedels blauen Märchenaugen war ihm Lohn genug. — Das Ticktack der alten Uhr lief gar schnell, Friedel Wallhausen war ein großes, schlankes Jungfräulein geworden, und Paul Farn¬ holt hatte in tüchtiger Arbeit ein glän¬ zendes Eramen bestanden. Nun konnte er sich im Leben betätigen und das Er¬ rungene verwerten. Jetzt sah er sich am Ziel. Er durfte Friedel fragen, ob sie sein Leben mit ihm teilen wolle. Doch die beiden jungen Leute waren wie aus¬ gewechselt. Sonst so kameradschaftlich, und Gar nun begegneten sie sich so scheu. manches zornige Ticktack, Ticktack ließ die Uhr ertönen. Der Amor hämmerte so kräftig auf seinen Pfeilen; der hatte doch den spitzigsten davon in die jungen Her¬ zen abgesandt, und nun benahmen sie sich so seltsam. Aber ticktack, ticktack, ein neuer Pfeil war fertig. Friedel und Paul sahen hinauf zu der alten Uhr, und dann lag Friedels Köpfchen an Pauls Schulter. Amor lächelte zufrieden herab auf sein Werk. So hell klang sein Schlag ticktack, ticktack, „das hab' ich gut gemacht“. Hör¬ ten die beiden glücklichen Menschenkinder das? Die hatten alles um sich her ver¬ gessen. — Das junge Mädchen in der Sofaecke schauerte zusammen. Eine schwere Träne löste sich von seinen Wimpern. Wo war die glückselige Zeit geblieben? Der Krieg war ausgebrochen. Paul Farnholt ging freiwillig mit hinaus. Die Eltern Frie¬ dels schlossen bald nacheinander die Au¬ gen zum ewigen Schlummer; immer dunkler zogen sich die Wolken um Frie¬ del zusammen. An häufiges Schreiben ihres Verlobten gewöhnt, war seit vie¬ len Wochen kein Lebenszeichen von ihm in ihre Hände gelangt. Weilte er noch unter den Lebenden? Alle Versuche, et¬ was darüber zu erfahren, blieben erfolg¬ los. Völlig machtlos stand Friedel dem harten Geschick gegenüber. Von dem Bru¬ der hielt dessen Frau jede Aufregung fern; so hatte Friedel auch an dem Ein¬ zigen, den sie noch auf Erden besaß, keine Stütze. Die alte Uhr schnurrte ihre

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