Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

194 Meuchlern ermordet. Nun war Seine Majestät zum Schutze des eigenen Erz¬ hauses sowie des gesamten Reiches ent¬ schlossen, von Serbien entsprechende Ge¬ nugtuung zu fordern, die nicht bloß in Worten bestehen sollte. Einen Weltkrieg wollte er aber nicht. Er hoffte, daß in England und in Rußland das monarchi¬ sche Anstandsgefühl siegen werde und daß diese Großmächte den serbischen Mörder¬ staat mit ihrem Einflusse nicht decken würden. Leider trat das Entgegengesetzte ein. Der Weltkrieg begann trotz der Frie¬ densbemühungen unseres Kaisers. Wäh¬ rend 30 Kriegsmonaten hatte sein väter¬ listes Herz unermeßliches mit seinem Volke gelitten. Kein Monarch hätte durch seine per¬ * sönliche Güte, durch sein Pflichtgefühl so sehr einen heiteren und schönen Le¬ bensabend verdient als unser Kaiser. Doch ist leider das Gegenteil eingetroffen. Möge dafür die allseitige Verehrung es uns nie vergessen lassen, daß wir in dieser schwersten Zeit einen wahrhaft großen Menschen auf dem Habsburger¬ thron verloren haben. * * Das trauervolle Schauspiel der Ueberführung der Allerhöchsten Leiche von Schönbrunn in die Hofburgpfarr¬ kirche hatte am 27. November 1916 eine ungeheure Menschenmenge herbeigezogen. Schon lange, ehe sich die Schatten des frühen Spätherbstabends über die Stadt senkten, hatte der Zuzug aus den Be¬ zirken begonnen, und noch war der Stra¬ ßenbahn= und der Wagenverkehr aufrecht¬ erhalten, als schon in ununterbrochener Linie ein Spalier von der Hofburg über den Ring und die Mariahilferstraße bis nach Schönbrunn hinaus stand. Dum¬ pfes, banges Schweigen herrschte in der Menge. Je weiter der Abend vorrückte, desto dichter wurden die Reihen. Ein gewaltiges Aufgebot von Sicherheits¬ wache war aufmaschiert und bildete in ununterbrochener Kette ein Spalier von der Hofburg bis nach dem Schlosse Schönbrunn. Von der Nässe schwer hin¬ gen von den Häusern die Trauerfahnen herab. Der späte, unfreundliche Abend machte die Stimmung noch düsterer und eidvoller. Gegen 8¼ Uhr wurde das Spalier der Sicherheitswache durch die militärische Ausrückung verstärkt. In angen Reihen rückten die Truppen aus verschiedenen Richtungen an und bildeten den ganzen Weg entlang ein ununter¬ brochenes Spalier. Die Soldaten kamen in Feldmonturen mit Gewehr und Tasche, ohne Tournister und Feldzeichen. Die Offiziere hatten Trauerflor auf dem Arm. Im ganzen waren ohne die un¬ mittelbare militärische Begleitung des Leichenzuges 5290 Mann ausgerückt. Für Assistenzzwecke waren überdies in der Volksgartenstraße als Reserve 200 Mann der Ersatzkompagnie des Festungsartil¬ lerieregiments Nr. 6 gestellt. Im Schlosse zu Schönbrunn wurden unterdes die letzten Vorbereitungen zur Ueberführung der Allerhöchsten Leiche ge¬ trofsen. Das Gittertor des Schlosses war wie schon seit vielen Monaten fest ver¬ chlossen. Posten der Leibgardeinfanterie tanden hinter dem Tor, und die den Schloßwachdienst versehende Mannschaft vom Infanterieregiment Nr. 99 mar¬ schierte auf und ab. Im Schlosse selbst sah man die Fenster hell erleuchtet, aber der Schloßhof war in Dunkel gehüllt. Gegen den späteren Abend öffneten sich die Gittertore und der lange Zug der Prunkwagen fuhr in den Schloßhof ein. Gegen 9¼ Uhr ritt beim Eingang zum Vorparke die Ersatzeskadron des Dra¬ gonerregiments Nr. 11 an. Rechts außerhalb des Gittertores hielt mit der Front gegen Meidling die Ersatzeskadron des Dragonerregiments 3 in Rottenko¬ lonnen zu Vieren. Die beiden Eskadronen waren bestimmt, die Allerhöchste Leiche zu geleiten. Die Dragoner waren in Marschadjustierung und hatten Tannen¬ reisig als Feldzeichen an den Kappen, die Offiziere den Flor. Der Platz vor dem Schlosse selbst war abgesperrt, die Umgebung selbst aber von einer unge¬ heuren Menschenmenge besetzt.

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