Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1918

164 des Waldes sangen gerade an dieser Stelle am liebsten. So war Allerseelen gekommen, das Fest der Toten. Drunten im Kirchhof des Dorfes prangten die Gräber in Blumenzier und Blätterschmuck und Lämpchen und Kerzen leuchteten auf dem sorgfältig gereinigten Leichenhügel. Und hier oben im Walde hatte das Stum¬ merl das Moos sorgfältig von der Stelle entfernt, wo Lisi ruhte und hatte aus der dunklen, braunen Erde einen Grab¬ hügel gewölbt und mit weißen blin¬ kenden Kieselsteinen, die er aus dem Beete des Waldbaches geholt, ein doppeltes Kreuz darüber gebildet und den Hügel rings zierlich eingefaßt. Um das ganze Grab aber legte er einen großen Kranz aus Tannenzweigen, besteckt mit den schönsten gelben, blauen und violetten Waldblumen, roten Vogelbeeren und Pfaffenkäpplein, die er noch zur späten Herbsteszeit im Walde gefunden; auf der Stirnseite des Hügels aber stand ein aus Baumästen zusammengefügtes Kreuz, darauf ein Kränzlein von bunten Astern und Georginen, die das Stummerl am Abend zuvor aus dem Garten des Dorf¬ richters geholt, und mitten darin das Muttergottesbild, das bisher auf der Eiche befestigt gewesen. Nur Lichtlein hatte er keine, der arme Mann, der nie einen Heller sein Eigen nannte. Und doch mußte er welche haben auf das Grab seiner Lisi und wenn er sie stehlen sollte! Aber nein, sein Blick fiel auf die Jagdtasche, die ich ihm einst nach einem erfolgreichen Pirschgang geschenkt hatte und die bisher seine Freude und sein Stolz gewesen, da er sich im Besitze derselben als ein echter und rechter Jä¬ gersmann dünkte. Mit raschem Entschluß ging er den Waldweg hinab mit finsterem Blicke, die Zähne zusammengepreßt, die Tasche mit der Rechten krampfhaft umfaßt. So trat er in die Försterei und bot die Tasche dem Jagdgehilfen zum Kaufe an. Der prüfte sie, und da sie noch lediglich gut erhalten war, gab er dem Stummerl einige kleine Münzen dafür. Die hellen Tränen rollten dem Ar¬ men über die braunen Backen, als er das Forsthaus verließ, aber er wischte sie mit der rauhen Hand rasch ab und eilte ins Dorf. Beim Wachszieher kaufte er ein Dutzend schöner weißer Kerzlein. Der¬ selbe war aber nicht wenig erstaunt, als er vom Stummerl Bezahlung erhielt, da er sich nicht erklären konnte, woher dieser das Geld bekommen habe, noch was er mit den Kerzen wollte. Der Arme aber verschwand bald aus dem Dorfe, verlor sich im Walde und stieg wieder den Weg zum Berge hinan, zu dem einzigen lieben Fleck Erde, den er besaß, zu dem Grabe seiner Lisi. Dort steckte er die Kerzlein in den Hü¬ gel und als vom Dorfe herauf die Glocke erklang, die zum Gebete einlud, ent¬ zündete er die Kerzen. Wie das flimmerte und leuchtete im Dunkel des Waldes! Das Stummerl aber war mit einem krampfhaften Schluchzen in die Knie ge¬ sunken und hatte sich mit dem Gesichte auf den Grabhügel geworfen. Dort lag der Unglückliche und die heißen Tränen rannen ihm über die Backen hinab in die frische braune Erde. Ja, Lisi mußte sie tief unten im Grabe auf ihrem Her¬ zen fühlen, diese heißen Tränen eines ihr teuren, armen, in Qual und Ver¬ zweiflung zuckenden Menschenherzens. Der ungewohnte Lichtschimmer machte * nicht geringes Aufsehen da oben im Walde. Die Eichhörnchen sahen verwun¬ dert vom Baume nieder, ein Paar Füchslein schlüpften aus dem Bau und die wenigen Vöglein meinten schier der Mond sei aufgegangen und rüsteten sich neuerdings zur Nachtruhe. Er sah es nicht. Uhn und Käuzlein, erzürnt darüber, daß plötzliches Licht ihren Nachtflug störte, erhoben ihr widerliches Geschrei. All' die Tausend Stimmen des Waldes,

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