Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1917

428 Ehrpusselig hatte er später diesen Ausflug genannt, waren doch nicht lustige Kneipbrüder dabei, sondern Fa¬ milien. Und Marie Wendriner war auch mit. Jetzt, wo er ihrer wieder gedachte, stand sie ganz, wie sie war, vor seinem Auge, anmutig, freundlich, gewiß her¬ zensgut, dabei bisweilen schelmisch, und — er hatte sich an je¬ so anspruchslos nem Sonntagsnachmittage in sie ver¬ liebt. Was er da mit ihr geredet, dort am Waldesabhang beim Sonnenunter¬ gang, das warf schon recht tiefe Blicke in seinen Seelenzustand. Gern gehabt hatte er sie ja immer, auch mit ihr freundliche Worte gewech¬ selt, wenn sie einmal ihre Verwandte besuchte, bei der er wohnte. Aber nur selten war es gewesen. Ja, jener Montag! Da hatte er sich klargemacht, so könne es nicht weiter¬ gehen, so renne er unwiderruflich ins Ehejoch hinein. Seinen geselligen Ver¬ kehr aufgeben, sein freies, vergnügungs¬ volles Leben, seine lustigen Abende und dagegen Familiensimpelei und gar Kindersegen! Nein, er hatte sich, wie er es am Abend in lustiger Gesellschaft nannte, gerettet und das Familienglück wieder einmal abgeschüttelt wie der Pudel das Wasser. Und nun, in all den Monaten des stil¬ len Nachdenkens im Feindesland, hielt das alles nicht Stich. Sehnsucht nach einem Familienglück machte sich fühl¬ bar. Mochte es noch so einfach sein, mochte selbst die Entbehrung einmal an die Tür klopfen. Aber warum Entbehrung? fragte er sich. Marie Wendriner machte ganz den, Eindruck, als ob sie haushalten könne. Wenn es auch einmal knapp zuginge, zusammen mit diesem Mädchen, das so innerlich gefestigt schien, das sich auch mit einem heitern Wort über manches hinweghalf, würde sich's schon haushal¬ ten lassen. Besser wär's sicher als das oft unsinnige Vergeuden bei den Ver¬ gnügen, die er hinter sich hatte. „Sie wird sich schon einzurichten wissen, so wie es ihre Mutter recht weiß. Zu den Mädchen, die nur Vergnügen suchen und nur gezwungen ihre Pflicht tun, gehört sie ja nicht.“ Und er wunderte sich über sich selbst daß er so viel über das Mädchen wußte, ohne daß es ihm bisher klar und be¬ wußt geworden. Ganz plötzlich kam ihm der Gedanke: „Laß sie keinem andern!“ Aber ihr schreiben, nein! Urlaub, wür¬ de er den bekommen? Bisher hatte er sich noch keine Mühe darum gegeben. Doch jetzt Nun saß er auf der Bahn und fuhr seinem Ziele entgegen. Auf der ganzen langen Fahrt war er in wechselnder Gesellschaft von Ka¬ meraden. Früher hatte er weniger da¬ rauf geachtet, wie andere Menschen sich zur Liebe und Ehe stellten. Jetzt er¬ weckte diese Frage sein Interesse, und auch besonders aus einem Grunde: fast ohne Ausnahme stellte er fest, daß durch das ganze in Feindesland stehende Heer ein warmer, herzlicher Zug nach trauter Familienangehörigkeit ging. Die erlit¬ tenen Gefahren und Entbehrungen schienen weniger Eindruck auf all diese Männer und Jünglinge zu machen als die Vereinsamung, das Fernsein von einem mit ihnen fühlenden weiblichen Wesen. Und wenn auf die Frauen und Mädchen die Rede kam, so stand in erster Reihe immer das Lob derjenigen, die keine großen Ansprüche machten und die mit dem, was der Mann erwarb, gut hauszuhalten wußten. Mit einem Berufskollegen sprack Franz Taubert auch einmal darüber. „Es scheint,“ meinte der andere, „als ob wie wir Männer jetzt auch viele Frauen eine Wandlung durchmachen!“ „Früher,“ erwiderte Taubert, „gab es nicht wenige unbefriedigte Frauen die vom Leben nur Angenehmes ver¬ langten und ihre Pflichten ungern über¬

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