Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1917

218 öffnen, währenddem der Ritter und der zweite Knecht soweit dies möglich war, scharfen Auslug hielten, um nicht über¬ überrascht zu werden „Fertig edler Herr,“ meldete endlich Kurt, sich die nasse Stirne abtrockend dem Ritter; „hielt verteufelt fest.“ Der Ritter hörte nicht mehr, was der Knappe weiter sagte, er war schon im Garten. Wird sie kommen? Ei, ja doch, warum nicht? Sie ist mutig und — liebt ihn, das wird ihren Mut erhöhen! Trotz der Dunkelheit glaubte Ritter Wigbert nach langem Harren zwei Ge¬ stalten durch den Garten huschen zu Die ehen; wenn es Emma wäre? Schatten näherten sich strauchelnd und langsam. „St. Georg sei gelobt und gepriesen sie sinds!“ Der Ritter trat aus seinem Verstecke hervor und faßte die eine der beiden Ge¬ stalten am Gewande. Ein leiser Schrei des Schreckens entfuhr den Lippen der¬ elben; Wigbert erkannte diese Stimme: — Wigbert!“ „Emma! Eine flüchtige Umarmung, ein flüch¬ tiger Kuß. „Schnell, schnell mir nach,“ flüsterte der Ritter, ihre Hand ergreifend, „es ist keine Zeit zu verlieren — bei Tages¬ anbruch müssen wir am halben Weg nach Steyr sein!“ Widerstandslos ließ Emma von Kersch¬ berg sich führen, Lise folgte. An einem Seile ließ sich Wigbert mit Emma in den Graben herab und mit Hilfe eines zweiten, schon vorbereiteten Seiles, das trotz der Dunkelheit bald gefunden war, brachte er seine teure Last die jenseitige Böschung hinauf. Bald folgten die Uebrigen und nun begann der Ab¬ stieg durch den Wald. Die Frauen mußten, um rascher fort¬ zukommen, getragen werden, und die vier starken Männer, die sich darin abwech¬ selten, hatten Müh und Plag genug dabei. Wie oft stieß man an Bäume, wie oft an deren Wurzeln! Dazu kam man von den Zweigen des Jungholzes manch' derben Hieb ab, dazu regnete es weiter und machte den Boden rut¬ chig. Bald entschlüpfte einer der Frauen ein Schmerzensruf, bald entfuhr den Lip¬ pen der Männer ein derber Fluch! Endlich war man im Tale und hielt kurze Rast. Die Männer zündeten die mitgebrachten Blendlaternen an und orientierten sich. „Nur noch eine Viertelstunde halte dich tapfer, liebe Emma,“ sagte Wigbert, „dann sind wir unter Dach; wechseln soweit tunlich die nassen Kleider und dann geht es zu Pferd auf Umwegen nach Steyr.“ Emma drückte ihm die Hand. „Sorge dich nicht um mich,“ sagte sie zärtlich, „ich bin nicht matt, noch verzagt.“ Man brach wieder auf. „Das ist der Weg zur Köhlerhütte,“ sagte Kurt, nachdem er umhergeleuchtet hatte, „das Schwerste ist überstanden.“ Die Hütte war bald erreicht: für Geld gab die mitleidige Köhleringern ein paar entbehrliche Kleidungsstücke für Emma und ihre Zofe her, man erwärmte sich etwas am lustig flackernden Feuer, dann wurden die Pferde bestiegen. Für Emma war ein mit Damensattel ver¬ sehenes Pferd bereit, während ihre Zofe Kurt vor sich in den Sattel nahm. „Gott mit euch, edler Herr, und edles Fräulein,“ sagte der Köhler, die Mütze lüftend, „reitet nur das Sträßlein hier 77 fort; es führt an die Herrstraße.“ „Wird euch die Hilfe, die ihr uns angedeihen ließet, keinen Schaden vom Rohrer oder dem Grafen bringen?“ frug Emma besorgt und streichelte ihr ungeduldiges Roß. „Ei, nicht doch,“ sagte der Köhler lachend, „da könnt ihr ruhig sein, edles Fräulein! Den Schaumburger, meinen Herrn, sollte er's erfahren, wird eure Flucht nicht anfechten, und den Rohrer und seine zwei Knechte, die er da oben

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