Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1917

in die friedlichen Täler und — ein un¬ geheurer Feuerbalb senkte sich von dort oben im hohen Bogen herab gegen die Burg, einen riesigen Feuerschweif hin¬ ter sich nachziehend. „Alle Heiligen stehen uns bei,“ schrie der Burgvogt beim Anblicke dieses feu¬ rigen Ungetüms, das da aus den Lüften herabschoß auf sie, entsetzt aus, und be¬ kreuzte sich ein über das anderemal, „wir sind verloren, edler Herr — Gnade uns Gott!“ Der Rohrer hatte eine rohe beleidi¬ gende Antwort für den Burgvogt auf der Zunge, aber sie blieb unausgespro¬ chen, denn das letzte Wort war den Lippen des Burgvogtes kaum entflohen, als die feurige Masse, wirbelnd und sich drehend, daß Feuergarben die Luft er¬ füllten, auf dem gepflasterten Schloßhofe aufschlug, daß von der Erschütterung dieses Aufschlagens die Mauern zu er¬ schüttern schienen. Gleich darauf platzte die feurige Kugel und hunderte wie vom Feuer umgossene Stücke und Stück¬ chen erfüllten die Luft, und ein viel¬ timmiger Schrei des Entsetzens durch¬ zitterte die klare Novembernacht. „Sie schießen von oben herab ihre Feuerkugeln,“ tönte es in der Veste bebend von Mund zu Mund. Ritter Wigbert hatte die Nacht da¬ zu erwählt, dem Herzog, der mit dem Haderer und anderen Rittern den Fel¬ sen erstiegen, die Wirkung seiner eigens für diesen Zweck von ihm erzeugten Ku¬ geln vor Augen zu führen und — die Wirkung war eine ungeheuere. Drunten in der Veste Leonstein liefen sie durch¬ einander, schrieen, jammerten, fluchten und beteten, denn jeder der tapferen Ver¬ teidiger wähnte jetzt sein letztes Stünd¬ lein für gekommen. Jetzt schützten keine festen Mauern mehr die tollkühne Schar, nutzlos waren Schwert und Armbrust, denn diesem Gegner, der schier aus Him¬ melshöhen seine Tod und Verderben bringenden Geschosse herabsandte, konnte man nicht an, und jeder verkroch sich, 209 wohin er nur konnte, um sein Leben zu retten. Ingrimmig fluchend, war der Rohrer ebenfalls unter Dach geeilt — sehr klein¬ mütig und ohne noch hochfliegende Pläne zu hegen. Noch sann er über ein Mittel nach, diesem Angriffe zu begegnen, als der Schreckensruf „Feuer“ durch die Burg gellte. Nicht achtend der Geschosse die vom Felsen ununterbrochen in die Burg fielen, eilte er wieder hinaus, nur um zu sehen, daß die Stallungen lichter¬ loh brannten, und mit Fluchen und hohen Geldversprechungen trieb er seine Leute an, die Pferde zu retten. Der grauende Morgen ließ den ganzen Jammer übersehen, den des Herzogs Geschosse unter den Seinen angerichtet. Tote und Verwundete gab's in Menge und der Rohrer mußte sich sagen, daß einen Leuten der Mut zu sinken be¬ ginne. Tagsüber donnerten jetzt wieder vom Tale herauf die großen Steinkugeln gegen die Mauern seiner Burg, und als es wieder Abend ward und die Nacht herniedersank auf das schöne Tal, zischten vom Felsen droben wieder die Feuer¬ kugeln herab, wie Kometen anzusehen, die, aus ihrer Bahn gekommen, nun auf die Erde sich herabließen. Am dritten Tage, nachdem Ritter Wigbert der Hinterholzer die erste Feuerkugel vom hohen Felsen herab in die Veste Leonstein geworfen, knieten drunten am Fuße des Schloßberges zwei Männer des Rohrers vor dem Herzog und flehten um Gnade. „Wo ist euer Herr?“ fuhr sie Herzog Albrecht an. „Entflohen, gnädigster Herr Herzog,“ kam es fast unhörbar und nur zögernd von den bebenden Lippen der zwei „er ist gestern abends durch den geheimen Gang der aus Leonstein hinab an die Steyr führt, geflüchtet! Gnade, gnä¬ digster Herr, daß wir Wilhelm von Rohr entschlüpfen ließen, er war unser Gebieter!“ 14

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