Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1917

überragten Gräbern, mit flimmender Lampen= und Kerzenzier, von inbrün¬ senk¬ — stig betenden Menschen umkniet ten sie den Sarg des jungen Deutschen in die Erde, legten Palmenblätter und die wunderbar prangenden purpurroten Blü¬ ten darauf, warfen eine Schaufel voll Erde ins offene Grab und beteten ein Vaterunser für die arme Seele des Ver¬ ewigten. Dort kam das schäumende junge Blut zur Ruhe — dort schläft das fröhliche Kind deutscher Eltern den ewigen Schlaf in der versengenden Sonne Indiens. Auf der höchsten Spitze von Malabar¬ Hill aber ragen fünf gemauerte kreis¬ runde, nach oben offene Türme in die glutatmende Luft, unheimlich, gespenstisch, schaurig, als hätten die fünf Finger einer riesigen Menschenhand sich dort empor gehoben, warnend und dro¬ hend —; eine Totenhand von Stein. Das sind die „Towers of silence“ die „Türme des Schweigens“ die grau¬ enhafte Begräbnisstätte der Parsi. Aus dem Hause Pangerans aber naht ein düsterer Leichenzug, dort geleiten sie die entseelte Hülle Bycüllas auf ihrem letzten Wege. Der Vater, die Geschwister, Verwandte und Bekannte folgen mit verstörten Mienen, in die wallenden Trauergewänder ihrer Kaste gehüllt, mit Wehklagen und Tränen. doch So schreiten sie langsam dahin still, siehe, da stehen sie mit einemmale Jäh¬ jedes Herz erbebt, der Atem stockt. eine lings verfinstert sich der Himmel, schwarze Wolke jagt mitternächtig über die Sonne, aber sie ist nicht stumm, wie die Wolken des Himmels. Es rauscht und schwirrt in den Lüften und hun¬ derte von Raubvögel, Geier, Falken und Krähen flattern mit starkem Flügelschlag gewitterschwer über den Trauerzug hin¬ weg zu den Türmen des Schweigens, be¬ völkern im Nu sämtliche Mauern, Rän¬ der und Zinnen, all die ragenden Wipfel der Palmen, Cypressen, Zedern, Bana¬ men und Sandelbäume rings umher 169 ein grausiges Leichengefolge — die To¬ tengräber der Luft. Da warfen sich die Parsi wehklagend zur Erde, ihre Leichendiener nahen der Leiche und tragen sie in einen der Tür¬ me. Der hölzerne Boden derselben senkt sich in drei konzentrischen Ringen gegen die in der Mitte gelegene, in einen tie¬ fen Schacht mündende Zisterne. Am * breitesten sind die für die Männer be¬ stimmten äußersten Ringe, am schmalsten die innersten für die Kinder, dazwischen liegen jene für die Frauen, alle mit aneinander gereihten Mulden, deren Rin¬ nen bis in die Zisterne reichen. Maschi¬ nenmäßig, ohne jedes Zeichen der Teil¬ nahme enthüllen die „schwarzen Männer“ Bombays den noch immer in wunder¬ barer Schönheit leuchtenden, aber mar¬ morkalten Leib des Opfers so heißer Liebe und legen ihn in einer der mitt¬ leren Mulden auf den nackten hölzernen Boden, ein trauriges Leichenbett für die verwöhnte und gefeierte Tochter des reichen Kaufmannes. Darauf entfernen sie sich still und schließen die Pforte. Da geschieht das entsetzliche, Grauen¬ hafte — aber hier Gewohnte, Alltäg¬ liche. Der ganze Himmel wird lebendig und senkt sich auf den Turm. Wie der Sturmwind den Forst durchbraust und die Blumenkronen mächtig zerwühlt, so bewegt sichs, rauscht und flattert von den Mauern, Rändern, Zinnen, von den Baumwipfeln ringsum, stürzt sich wie ein Heuschreckenschwarm in den Turm, — auf den Boden, über die Leiche hun¬ derte von Geiern und Falken liegen in einem wirren schwarzen Knäuel über dem blendenden Leib, daß er darunten verschwindet. Und als nach wenigen Minuten die Wolke sich wieder erhebt, sich teilt und in alle Winde zerflattert ist das Fleisch der Toten bis auf die letzte Faser verschwunden, nur das Skelett bleibt übrig, so rein, als be¬ fände es sich im Studierzimmer eines Anatomen. Und morgen werden die Lei¬ chendiener wieder kommen und die Kno¬ chen in die Zisterne kehren, wo sie in

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