Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1917

steckten Treibens entreißt. Das ist „a sinnirada Kopf, bei dem's brinnt untan Huat“, sagt sein Landsmann Stelzhamer. Ueber die wildgewachsene äußere Form der Dichtung „Weltenwende“ wäre viel anzumerken. Vom Handwerklichen der Dichtkunst hat der Meister zu wenig, vom Gedanklichen zu viel. Aber man kann mit einem Dichter nicht rechten, der uns im Vorwort selber sagt: „Die Form will nicht Schulpoesie sein, sondern kommt vom Amboß, und ist nicht klingendes Silber, sondern klirrender Stahl, Schönp¬ guor, nichts weiter.“ Es ist aber auch über die innere Gestalt an nichts zu agen, denn auch sie wurzelt in den ihm so vertrauten allegorischen Kunstformen, in denen der Stahlschneider zu seinem Publikum spricht. Sinnbild auf Sinnbild folgt, und immer redet einer, der nur gedacht ist als Sprecher zahlloser, schar gesehener Modelle des wirklichen Lebens. Und doch schreit das ganze Werk über alle Dächer hinaus und sprengt gerade jene Kunstform in jeder Zeile. Es ist bis an den Rand gefüllt mit Persön¬ lichkeit. Namentlich der letzte Gesang „Aus Weltentiefen“ ist ganz und gar Stahlschnitt: Heut' sei stark mein treues Lieb, Und ging' es in die Finsternis Und durch der Hölle Brände; Gerechte sind gefeit. So hebt er an. Und es geht, mit einem seiner Genien, in das tobende Gewühl der Schlachten und in alle Schrecken des Krieges. Immer auf höchster Warte, immer gedanklicher faßt und voll Dämonie gesteigert, geleitet uns der Text: Und es soll der Frontenbrand Immer größer, endlos werden, Und schrankenlos sei das Verderben; Nicht Trommelfeuer: Raserei! Was aufgestapelt, schleppt herbei: Sparet mit Geschossen nicht, Von den Türmen reißt die Glocken, Und es lebt noch mancher Wicht, Den Aas vom Bruderfleische locket, Ja, der uns mit Heuchlermiene Die flache Hand entgegenstreckt Und nach Höllensolde lechzt. Er dringt mit allen Listen bis in das Hauptquartier der Feinde vor, und dar¬ —.— 143 über noch weit hinaus, bis in die Werkstatt der bösen Urheber und Lenker dieses Völkermordens, und es schüttelt ihn das Grauen * * * Aber die Ideale wanken nicht. Und des Dichters Visionen klingen zuletzt dennoch in einen hoffnungsfreudigen Hochgesang aus: Fern, fern Man hört es kaum Wo hängen denn Glocken noch sicher im Turm? Es dringt ein zitterndes Läuten Fern, fern In den Sturm. Fern, fern Was mag das bedeuten? Bis zum Morgenstern hinter den Wolken. Die Wolken dräu'n dicht, Fürchte dich nicht! Erste Glocke gebenedeite, Mit deinem einsamen Liede, Flügel breite von Turm zu Türmen, Läute, bis alle Glocken sturmen: Friede! Aber ein schüchternes Kind ist noch der Friede, er nähert sich dem Häuschen am Hügel scheu mit einer Gabe, ver¬ weilen will er nicht. Er kann wohl wieder kommen und hier wohnen, wenn der Rosengiebel wie vordem aufgebaut ist und die bösen Geister, die die Welt in solches Wirrsal gestürzt haben, sämtlich bekehrt sind. Er traut ihnen noch nicht. Doch was hat der Kleine dem Meister gebracht? Ein schweres unförmliches Ding übergab er ihm. Das ist doch geschmolzner Schlachtenstahl? Oh, aus meiner lieben Heimat Berg und Tal! Ich kenn's am Klang, ich kenn's am Sang, Wie Bess’res mir nie untern Hammer kam. Schaff' draus ein Werk! So rundet sich das philosophisch=poe¬ tisch=allegorische Werk zu einem Heimat buch des Meisters Blümelhuber in Stadt Steyr. Soll das Buch nun jedermann lesen? Gehört es wie die in allen Anpreisungen übliche Wendung lautet, in jedes deutsche Haus? Nein. Nur nachdenkliche Menschen, die dem Meister gleichen, werden etwas davon haben. „Weltenwende“ gehört zu den Büchern, die dreimal gelesen sein wollen, ehe sie sich uns ergeben. Adam Müller=Guttenbrunn.

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