238 fragte ich ihn, ob er etwas wünsche. Er bat um einen Schluck Wasser, den ich ihm aus meiner Feldflasche gab, und wie ich dabei in sein Gesicht blickte, bemerkte ich, daß er feine aristokratische, fast hübsche Züge hatte. Nachdem er ge¬ trunken, fragte er mich, ob ich ihm einen Gefallen erweisen möchte; ich beilte mich, dieses zu bejahen, denn ich merkte, daß er zusehends schwächer wurde. Einen Brief sollte ich schreiben, Papier und alles andere fände ich in seiner Rock¬ tasche. Neben ihm sitzend, diktierte er mir dann einen Brief an seine Mutter. Es waren nur ein paar Worte, ein paar Abschiedsworte, wie sie ein zu Tode ge¬ troffener Krieger an sein Liebstes auf der Welt richtet. Die Adresse war schnell erledigt, dann knickte er fast zusammen. Doch noch einmal richtete er sich auf, und indem er mir einen Gegenstand in die Hand drückte flüsterte er leise: „Souvenir“ und hauchte dann seine Seele aus. Ich deckte ihn mit seinem Mantel zu, dann kniete ich bei ihm nieder, und ein heißes, tiefes Gebet rang sich von meinen Lippen. Erst als sich die Erde über ihm ge¬ schlossen hatte, nahm ich das Geschenk des jungen Offiziers aus meiner Tasche. Es war ein silbernes, sehr starkes Ziga¬ rettenetui mit den verschlungenen Buch¬ staben P. W., und darunter quer über dem Etui standen die Worte: „Dem Sieger!“ S 2200 —. O, wie stolz Dem Sieger klang dies, wie siegesgewiß mochte er dies Kleinnod von seiner Mutter in Em¬ pfang genommen haben, und doch wie unsäglich traurig muß es für das Mut¬ terherz gewesen sein, als sie den Ab¬ schiedsbrief von ihrem stolzen Sohne er¬ hielt! Ja, erhielt — hat sie ihn er¬ halten? Ich weiß es nicht. Ich gab ihn drei Tage später der Feldpost mit. Wieder stehe ich im heißen Gefecht und um mich brüllt es wie tausend Or¬ kane, der Kampf tobt mit größter Hef¬ tigkeit. Eben will ich mich zum Sprung aufraffen, da trifft es mich. Wie vom Blitz gefällt, sinke ich zu Boden, dann schwinden mir die Sinne. Als ich zu mir kam, fühlte ich einen Druck in der rechten Leistengegend und bemerkte, daß etwas Hartes in meiner Tasche mir Unbequemlichkeiten verur¬ sachte; ich griff hinein und zog einen Granatsplitter heraus, der sich fest in das silberne Zigarettenetui verbissen hatte. Ich hatte weiter keine namhafte Verwundung, sondern nur einen tüch¬ tigen blauen Flecken von dem gewaltigen Druck des Geschosses, der mir auch für einige Minuten die Besinnung geraub hatte. Das Etui des jungen französischen .* Offiziers, dies „Souvenir dem Sieger“ hatte mir das Leben gerettet — so sag¬ ten wenigstens meine Kameraden, ich aber weiß daß es Gottes Hand war die mich bewahrte; daß mein inbrün stiges Gebet, dort in jener Waldeinsam keit Erhörung gefunden hatte. B S
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