Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

diesem kritischen Moment aus den Pol¬ stern und trat auf die Brücke. Der hohe Vorgesetzte hob ein fürch¬ terliches Brüllen an, packte Wassilij an der Brust, daß die nur mit Streich¬ hölzern befestigten Knöpfe links und rechts flogen; es hätte nicht viel ge¬ fehlt, er hätte ihm eine Maulschelle ge¬ geben. Wassilij hielt mit stoischer Ruhe stand. Als der Kommandant ausgetobt, trat er ihm unterwürfig näher und machte die Bewegung des Geldzählens. Der Zorn des Kommandanten mäßigte sich. Jetzt entwickelte der brave Was¬ ilij seinen Kriegsplan, leuchtenden Au¬ ges. Auch die Augen seines hohen Vor¬ gesetzten strahlten. Schmunzelnd beobach¬ tete Hillmann die beiden Biedermänner. „Gut!“ sagte der Führer des Tor¬ pedobootes. „Aber — die ganze Mann¬ schaft muß an Bord. Und zwar gleich!“ Donnerwetter! Es fuhr Hillmann durch alle Glieder. Sein ganzer, schö¬ ner Plan war vereitelt! Breitspurig war der Kommandant in die Kajüte hinabgegangen; aus der Kombüse zog der lockende Duft einer kräftigen Erbssuppe. Hillmann folgte den beiden Russen und sagte: „Darf ich die Herren zum Mittagessen einla¬ den? Ich hoffe, es soll Ihnen schmecken. —— wie für Lloyd¬ Mein Koch kocht passagiere.“ Die beiden russischen Offiziere lächel¬ ten und banden sich statt aller Antwort die schon bereitliegenden Mundtücher um. Hillmann ging hinaus, dem Koch selbst die Anweisung zu geben. „Jetzt heißt's Stange halten,“ sagte er zum Steuermann. „Holen Sie auch den ersten Maschinisten. Wir müssen die Kerls dun (betrunken) kriegen, und wenn sie Stück¬ fässer vertragen.“ Es erhob sich in der Messe ein lustiges Pokulieren, nur Kapitän Hill¬ mann hielt sich zurück, um nüchtern zu bleiben, Aber die Russen zeigten sich allem Zutrinken gewachsen. Es ging schon gegen Abend, als Hill¬ mann an Deck ging, nach dem Wetter 235 zu sehen. Düsig! Der Wind zog hohl! Die Vorzeichen waren gut! „Herr Kapitän,“ sagte er zu dem Torpedokommandanten, „Ihr Boot rammt und bestößt sich. Wollen Sie's nicht ein Stückchen weiter fort ankern lassen?“ Dieser nickte und schickte Wassilij an Deck, den Befehl zu geben. Torkelnd chwankte dieser die Treppe hinauf. Hill¬ mann folgte. Er hielt den Augenblick für günstig. „Wassilij,“ sagte er und drückte dem Russen einen Hundertrubelschein in die Hand, „das Boot soll bis in die Ha¬ feneinfahrt zurückgehen, hat der Kom¬ mandant gesagt.“ So?“ fragte Wassilij und betrach¬ tete den Schein in seiner Hand. „Ja, in die Hafeneinfahrt!“ wieder¬ holte Hillmann und legte einen zweiten Schein dazu. Wassilij schrie einen Be¬ fehl hinüber, — das Boot dampfte ab. Indessen ging die fröhliche Sitzung ihren Gang. Es war gegen 8 Uhr als der Bootsmann eintrat. „Dicker Nebel!“ sagte er Hillmann leise ins Ohr. Die Russen lagen im Halbschlaf, Wassilij mit dem Kopf auf dem Tisch. Ganz leise standen die Deut¬ schen auf, der Steuermann drehte das Licht aus, Hillmann schloß die Kajüte von außen ab. Wie ein Wisel schlüpfte der Maschi¬ nist in seinen Maschinenraum, die beiden anderen gingen auf die Brücke. Jetzt mußte der Bootsmann die paar Mann Posten zum Abendessen rufen. Als sie schmatzend im Volkslogis saßen — ihre Gewehre standen an Deck — drehte eine kräftige Faust leise den Schlüssel herum. Zwei Mann blieben als Wache davor stehen, mit den russischen Gewehren be¬ waffnet. Der Anker wurde gekappt, um das Geräusch der Ankerwinde zu vermeiden. Dampf auf! Die „Rheinland“ rauschte durch die spritzende und schäumende See in voller Fahrt, Kurs Südwest, die hohe See gewinnend.

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