Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

So gingen Tage banger Erwartung dahin. Keine Nachricht kam von dem ins Feld Gezogenen. Im Interesse der Landesverteidigung war vielen Truppen untersagt worden, zunächst schon in die Heimat zu schreiben. Frau von Trübing ahnte nicht, wo ihr Gatte stand, sie wußte nur, daß er dem Feinde entgegen gezogen war, und sie hatte keine Nach¬ richt, ob er im Feuer schon gewesen, und ob er dem Feinde gegenüber ge¬ standen. Da kam eine Nachricht, nicht von dem Gatten selbst, eine trübe Nachricht, eine schwere Kunde, die Frau von Trü¬ bing erschütterte, die aber doch wieder ie mit neuem Hoffen gleich erfüllte: „Ihr Herr Gemahl ist schwer, aber nicht lebensgefährlich verwundet. Die Aerzte geben die beste Hoffnung, ihn durchzu¬ bringen!“ Ein Regimentskamerad war es, der die trübe Nachricht der Frau von Trü¬ bing übermittelte. 9 Schwer verwundet! Erschüttert war Frau von Trübing mit dem Telegramm in der Hand auf den. Stuhl gesunken. Dann aber nach langem Schluchzen rich¬ tete sie sich auf: Nur schwer verwundet! Nicht tot! Er hatte ja stets eine kräf¬ tige Konstitution, er wirds überwinden! Er wird am Leben bleiben! Gott sei Dank, er ist ja nicht gefallen! Er wird zu mir zurückkehren! Fast war sie versucht, in ihren Ge¬ danken, dem Himmel zu danken, daß ihr Gatte schwer verwundet sei. Eine leichte Verwundung hätte vielleicht bald geheilt werden können, und er hätte zu¬ rückmüssen vor den Feind, und er hätte dann wohl fallen können. Aber schwer verwundet, da ist er davon sicher! Wenn Gott ihn hätte rauben wollen, wäre er wohl gleich gefallen! Nein, nein, sie fühlte es, er würde ihr und ihrem Kinde erhalten bleiben. Und der kleine Albert, der die Mut¬ er weinen sah, schmiegte sich zärtlich an ie an und wagte nicht zu fragen; er dußte, wenn man viel weint, hat man 225 Weh=Weh, und das tat ihm leid. Und o blieb er in fruchtsamer Stille, an die Mutter zärtlich geschmiegt, bis sie selbst ihm erzählte, daß der Vater schwer ver¬ wundet sei. Was das sei, „schwer verwundet“ wollte das Kind wissen. Und die Mutter erklärte ihm, daß die Feinde, die bösen Franzosen, auf den guten Vater geschos¬ sen hätten und daß der arme, liebe Vater viel Schmerzen zu ertragen habe, und daß er, der kleine, liebe Albert, den lieben Gott sehr bitten müsse, daß der Vater recht bald wieder ganz gesund werde und heimkehre und mit dem Kinde „Hoppla machen“ spielen könne. Und weinend schloß Frau von Trü¬ bing ihr Kind in die Arme und betete mit ihm um baldige Genesung. Dann aber nahm sie alle Kraft zu¬ sammen, rüttelte sich empor und mächte sich auf den Weg. Den Knaben hatte sie dem Mädchen übergeben. Sie wollte ausforschen, wo ihr Mann im Lazarett liege und ob sie nicht hinkönne, per¬ sönlich seine Pflege zu übernehmen. Aber anfangs vermochte man ihr keine Kunde zu geben; selbst über die Art der Verwundung konnte sie nichts erfahren. Man mußte sie vertrösten auf den folgenden Tag. In schwerer Sorge kehrte Frau von Trübing heim, langsam flossen die Stun¬ den dahin; unaufhörlich fragte der Kleine, der alles wissen wollte, und ohne eine Ahnung davon zu haben, den Schmerz der Mutter nur immer wieder vergrößerte, wenn er in seiner kindlichen Wissenslust zur erfahren wünschte, wer auf den Vater geschossen, und ob der böse Mann, der das getan, nicht tüch¬ tige Haue bekommen, und wie das ist, wenn auf jemanden geschossen werde, und — nachdem die Mutter unter Trä¬ nen erklärte, daß die Kugel in den Kör¬ per dringe und ein Loch mache — wie groß das Loch sei, das nun der Vater habe. Immer wieder suchte sie des Kindes Wißbegier zu beschwichtigen und war 15

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