Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

189 S 0 S (Nachdruck verboten.) Die Flucht ins Leben. Seitze von f. Lonring. waffnet und hielt ihm eine donnernde Schneider=Emil hatte seit einiger Zeit Gardinenpredigt. Der Alkohol hatte aus recht trübe Gedanken. Es ging ihm Emil einen mutigen Mann gemacht. Er gar nicht gut. Die Ursache war sein ehe¬ entgegnete heute zur hellen Ueberrasch¬ liches Mißgeschick. Seine Frau, die Pau¬ ung seiner Ehehälfte. Ein Wort gab das line, machte ihm seit einem halben Jahr andere, und schließlich schlugen beide Ehe¬ das Leben recht sauer. Emil war von gatten kräftig aufeinander los. Die Kin¬ Hause aus gelernter Buchbinder und der, die in der Kammer schliefen, wur¬ hatte sich ziemlich früh mit einem Mäd¬ den durch den Lärm geweckt und fingen chen aus dem kleinen Orte verheiratet. an zu schreien. Auch Nachbarsleute fuh¬ Rasch waren hintereinander vier Kinder ren aus ihrem nächtlichen Schlummer gekommen, und eines Tages erklärte ihm ärgerlich empor, bald wurde an die Pauline, das wären nun genug. Er Wand geklopft, und energische Rufe nach wär' wohl nicht recht bei Trost. Sie, Ruhe wurden laut. Am nächsten Tag die in den ersten Jahren ihrer Ehe die wußte es die ganze Stadt, daß Schnei¬ Liebe selbst gewesen war, schimpfte jetzt der=Emil von seiner Frau eine gehö¬ den ganzen Tag entweder mit ihm oder rige Tracht Prügel bekommen hatte. Als. den Kindern herum, mäkelte an seiner er am Abend an seinen Stammtisch in Arbeit und kochte ihnen schlechtes Essen. der „alten Post“ erschien, sah er die Schneider=Emil war ein gutmütiger, schadenfrohen Mienen der Gäste. Und sanfter Mensch. Kämpfen war nicht seine einer von ihnen, der durch seine lose Sache. Eher leiden und dulden. Wenn Zunge im Orte bekannt war, rief Emil man die kleine, etwas bucklige Gestalt lachend zu: sah, glaubte man das auch. Wie oft hatte er sich vorgenommen, der Pauline „Na, wie ham denn die Keile ge¬ mal ordentlich die Wahrheit zu sagen. schmeckt? Ich würde mir ja so was von Aber allemal, wenn er anfing, sank ihm meiner Alten nicht bieten lassen. Da ge¬ der Mut, und er zog stets bei solchen hört eben so e alter Lappsack wie Du derzu!“ ehelichen Szenen den Kürzeren. Emil verkehrte früher ziemlich selten Das war Emil zuviel. Er nahm sei¬ in der Kneipe, aber neuerdings suchte nen Hut und verließ schweigend die er Trost für sein eheliches Mißgeschick Gaststube. Zu Hause angekommen, holte darin zu finden, daß er öfter einmal er vom Hausboden eine alte Waschleine einen Gansschmaus mitmachte, an das und lief hinaus aus dem Orte, dem sich gewöhnlich noch eine kräftige Knei¬ nahen Walde zu. Jetz war es so weit. perei anzuschließen pflegte. So war es Schon öfters hatte er sich mit dem Ge¬ auch heute. Es wurde recht spät, als danken getragen, diesem zwecklosen Le¬ der gute Emil seinem Heime zuwankte. ben, das er da führen mußte, ein Ende Und als er in seiner Behausung eingetre¬ zu machen und sich im Walde aufzuhän¬ ten war, erschien wie eine Rachegöttin gen. Er wußte schon einen passenden die gute Pauline mit einem Besen be¬ Ort in dem dichten Tannicht, und dort¬

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