Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

Man ließ den Unglücklichen übrigens nicht Zeit zum Weinen, Wehklagen und Beratschlagen. Der Stadtrichter gab Be¬ fehl, die Verurteilten in die verschie denen Gefängnisse, wo sie untergebracht waren, zurückzuführen, und die Söldner erfüllten rasch und rauh diesen Auftrag. Während nun der Blut= und Bann¬ richter mit dem Stadtrichter u. dem Rate der Genannten das Nähere des Straf¬ vollzuges besprach und dem Henker die weiteren Befehle für die morgige Ur¬ teilsvollstreckung erteilt wurden, zer¬ 1230 streute sich das Volk, lebhaft über das Urteil sprechend, aber in stiller, sehr stiller Weise, denn es waren viele dar unter, deren Angehörige unter den Wal¬ densern waren. Ein Trupp Waldenser zog die Auf¬ merksamkeit heimkehrender Bürgersleute auf sich, unter denen der Krämer Os wald und seine Frau Katharina sich be¬ fanden, beide, wie man sich leicht den¬ ken kann, in hochgradiger Erregung. Ka¬ tharina obendrein weinend und schluch¬ zend. Die Schar der Bürger mußte am Aufgange zur Burg stehen bleiben, denn die Söldner geleiteten die Waldenser in die Burg hinauf und nicht ohne tiefes Mitleid betrachteten diese Leute die Gefangenen, die meist, ohne aufzu sehen, gebrochen und still dahinschritten. Plötzlich ertönte ein kurzer Aufschrei, dem bald ein zweiter folgte. Katharina hatte ihre Mutter und ihren Vater unter den Gefangenen er¬ kannt und sich ihnen schluchzend in die Arme geworfen. Unwillkürlich blieben die Gefangenen stehen, um diese traurige Abschiedsnahme nicht zu stören, als fluchend der Adel¬ wanger, der eine Art Aufsicht führte daherpolterte. „Marsch, marsch,“ schrie er den Kriegsknechten zu. „Was steht ihr da strafen, da sie Krieg und Kriegsdienste, als gegen die Lehre Christus verstoßend. ansehen. Der Verfasser dieser Erzählunc hat viele „Nazarener“ unter seinem Befehle gehabt, mit vielen verkehrt, kennt daher deren Lehren, Sitten und Ge bräuche sehr genau, die „Nazarener“ sind, sozusagen, eine Art Fortsetzung der „Waldenser“ — in's ungarische übersetzt. 69 wie die Affen, weil ein Weibsbild einen Ketzer und eine Ketzerin anwinselt?“ „Herr,“ sagte da jetzt Kuno der Knappe, der mit bei der Schar war, „habt doch ein wenig Geduld. Es ist ja des Vogelmayers Tochter, die von ihren Eltern Abschied nimmt. Wir sind doch auch Menschen, laßt sie doch einen Augenblick gewähren — ist so der letzte für sie!“ Der Adelwanger wollte über diese Rede auffahren, allein vielleicht zum erstenmal in seinem Leben überwog das bessere Gefühl doch bei ihm und er wandte sich ab und machte sich mit den Neugierigen zu schaffen, die hören woll¬ ten, was die drei zusammen sprachen Inzwischen hatte Katharina ihre El¬ tern in herzzerreißender Weise gebeten, von der Gnade des Waldboten Gebrauch zu machen. Herr Peter Vogelmayer schüttelte aber nur das Haupt. „Du weißt nicht, was du verlangst, mein Kind,“ sagte er, seiner Tochter das Haupt streichelnd. „Ehrlich gelebt und ehrlich gestorben, so ziemt sich's. Laß ab mit deinem Bitten — nimmer werde ich meine Ueberzeugung ändern.“ „Und du, Mutter, du wirst dem Vater folgen?“ schrie die junge Frau schmerzlich auf und umklammerte deren Knie, als wollte sie ihre Mutter den Häschern entreißen. „Das Weib soll dem Manne folgen, entgegnete Frau Elisabeth wehmütig und mit Tränen in den Augen, ihre Toch¬ ter betrachtend. „Mann und Weib sol¬ len sein ein Leib. Ich werde mit deinem Vater gern und willig sterben! Oswald war hinzugetreten und kniete neben seinem Weibe nieder Herr Peter und Frau Elisabeth kü߬ ten das Paar und legten ihnen seg¬ nend die Hände auf. „Seid glücklich,“ schluchzte Frau Eli¬ sabeth — noch eine letzte Umarmung, ein letzter Händedruck, ein schmerzlicher Blick — und die Söldner drängten die Unglücklichen zum Weitermarsch.

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