Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

66 Boten flogen fast durchs Land und den entboten Edle und Bürger aus3250 Gauen zwischen der Enns und der Traun Am auf Ostern 1397 nach Steyr. Gründonnerstag wollte der Blut= und Bannrichter am Stadtplatze die Sache der Waldenser entscheiden. „Mit Blut und Bann!“ so ver¬ kündeten die Boten und vor Angst frö¬ stelnd, vernahmen es die Bürger. Der Gründonnerstag des Jahres 1397 war angebrochen, ein kalter, aber trockener Frühjahrstag. Der Stadtplatz war, wie immer, Ge¬ richtsplatz und zur Schranne*) herge¬ richtet. Mit Planken umgeben, vom Kriegsvolk bewacht, gewahrte man in der Mitte dieses Platzes einen langen, mit schwarzem Tuche überdeckten Tisch, auf dem ein Kreuz und zwei Kerzen standen und einige dickleibige Bücher la¬ — die Akten des Ketzerrichters; gen hinter demselben eine Anzahl Stühle, in deren Mitte ein Stuhl mit geschnitz¬ Lehne für den Bannrichter. ter Der Stadtrichter, der Ketzerrichter und die Genannten waren bereits an¬ wesend, sie machten ernste Mienen und flüsterten zuweilen zusammen. Um die Schranken herum befand sich eine unabsehbare Menge Volkes, drän¬ gend und stoßend, um den besten Platz zu erhaschen — die Neugier war bei ihnen mächtiger als das Mitgefühl mit den Angeklagten. Viele Geistliche und Adelige waren unter diesen. Trompetenstöße von der Burg herab verkündeten, daß der Blut= und Bann¬ richter die Burg verlassen hatte und herannahe, die Schranken öffneten sich und unter starker Bedeckung schritten die Waldenser herein, Männer und Frauen, einige hundert an der Zahl, denn man hatte mit dem Verhaften nicht gespart. Ungebeugt und trotzig unter ihnen waren nur wenige und das waren Wil¬ helm von Blüburg, Hans der Ennser Fischer, Peter Vogelmayer der Wirt, und Meister Kuno der Messerer. *) D. i. Schranke, also eingeschrankt werden. Man sah es ihnen an, daß sie zum äußersten entschlossen waren, und manch böser Blick traf den Ketzerrichter, der ruhig die Schar betrachtete, ohne Zorn und ohne Haß; eher wie verirrte Men¬ schen, die vom rechten Wege abgekom¬ men sind und nicht mehr zurückfinden. Abermals wurde geräuschvoll und un¬ ter Fluchen den Söldnern Platz gemacht, der Blut= und Bannrichter trat in die Schranken, ehrerbietigst begrüßt von den Anwesenden, selbst der stolze Mönch — er anerkannte beugte sein Haupt die große Macht dieses Mannes, der an des Herzogs Stelle das Urteil sprechen sollte. Fast der ganze Kleinadel von Stadt Steyr und Umgebung war im Gefolge des Waldboten, alle wohl bewaffnet. Auch einen Geistlichen bemerkte man, um den Hals die schwere goldene Kette der Prälaten; es war der Abt Nikolaus I. von Garsten"), eine ehrfurchtgebietende Gestalt, mit feinem, geistvollem Ge¬ sicht, der fast mitleidig die verirrte Schar betrachtete. Ludwig, der Neudlinger, trat vor einen Stuhl und Trompetenstöße ver¬ kündeten den Beginn der Verhandlung. „Im Namen Herzog Albrecht IV., unseres allergnädigsten Herrn,“ tönte jetzt des Neudlingers gewaltige Stimme und alle Häupter entblößten sich ehrfurchts¬ voll. „Kund und zu wissen allen,“ fuhr der Blut= und Bannrichter, der allein bedeckten Hauptes war, fort, „daß wir der Aufforderung des Stadt Steyrer Stadtrichters, des edlen Herrn Thomas des Luegers und des hochw. Pater Pe¬ trus, des Richters in Angelegenheit der Waldenser folgend das Blut= und Banngericht hiemit für eröffnet erklä¬ ren. Der heilige Geist mit uns!“ Im Volke trat plötzlich tiefes Schwei¬ — selbst die Boshaftesten be¬ gen ein zähmten ihre Spottsucht, der Augen¬ blick war auch zu ernst und die Jam¬ *) Don Denkhen mit Familiennamen. Abt vom Jahre 1355 — 1399.

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