Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

40 wenn auch zugegeben werden muß, daß die katholische Kirche ein gut Teil daran hatte, daß man die Waldenser verfolgte o war es auch nicht Unduldsamkeit al¬ lein, die die Maßregeln gegen sie her¬ vorrief. Die Art und Ausführung die¬ er Maßregel gehört freilich auf ein an¬ deres Blatt. Kehren wir wieder zu unserer Erzählung zurück. Als Peter Vogelmayer seine Vor lesungen aus der Bibel geschlossen, schlu¬ gen die Anwesenden wieder das Zeichen des heiligen Kreuzes, es schien also das eine Art Gebet gewesen zu sein, das nun zu Ende war. Hierauf nahmen die Anwesenden auf den zahlreich aufgestellten Bänken Platz und erwarteten die Anrede des Ge¬ meindeältesten, denn als solchen mu߬ ten sie Herrn Peter Vogelmayer wohl betrachten.*) Dieser begann auch unter lautloser Stille: „Meine lieben Glaubensbrüder, die ich euch hier zu begrüßen mich erfreue, euch fordere ich auf, der Reihe nach Be¬ richt zu erstatten. Bruder Hinz, be¬ ginnt!“ Der mit Bruder Hinz angeredete er¬ hob sich und begann, über innere An¬ gelegenheiten der Waldenser zu berichten. Bruder Hinz war im gewöhnlichen Leben ein Fischer aus dem Ennsdorf, das damals nur aus Fischerhütten be¬ stand. Er war eine mächtige, gro߬ knochige, derbe, echt deutsche Gestalt, mit bereits grauem Haar und Bart. Die Art und Weise, wie er sprach, verriet Begeisterung, die er der neuen Lehre ent¬ gegenbrachte. Als dieser geendet, berichtete Mei¬ ster Kuno, der Messerer, der beim heutigen „Föhrenschacherl“ ein Häuschen und eine Messerschmiedewerkstätte besaß, ebenfalls über Angelegenheiten der Sekte *) Es gab in Stadt Sterr jedenfalls mehrere Ver¬ ammlungsorte der Waldenser, was ja bei einer geheimen Vereinigung, deren Sicherheit wegen, selbstverständlich ist. Ein solcher Ort soll, der Ueberlieferung nach, auch in Steprdorf (Kirchengasse, jetzt Apothekerhaus, rückwärts gegen den Tabor) sich befunden haben, was schon der dazu sehr geeigneten Tage wegen glaublich ist. und gab der Besorgnis Ausdruck, daß man schweren Zeiten entgegengehe. „Mein lieber Bruder! Ihr mögt recht haben,“ sagte da eine Stimme und ein Mann von sehr ernstem Aus¬ sehen erhob sich. Gespannt blickten die Anwesenden auf ihn, denn er war der einzige Adelige in der Versammlung. Wilhelm von Blüburg, dies sein Name, hatte vor Jahren eine armé Bürgerstochter geheiratet und war seit dieser Zeit mit dem in Steyr wohnen¬ den Kleinadel zerfallen. Er bewirtschaf¬ tete ein kleines Gütchen, das eben so viel abwarf, um leben zu können, und lebte sehr eingezogen, kam aber doch für eine Person oft in Berührung mit seinen Standesgenossen. Er war daher über die Vorgänge am Hofe des Burg¬ grafen in Steyr immer gut unterrich¬ tet und den Waldensern unentbehrlich. umsomehr, als er mit aufrichtiger Be¬ geisterung an der neuen Lehre hing. Als er daher die Besorgnis des Mes serermeisters so offen bestätigte, blickten ihn die Versammelten neugierig und wohl auch bestürzt an — was konnte da wohl Unangenehmes zu hören sein: Wilhelm von Blühburg zögerte auch durchaus nicht, seine Ansichten darzu¬ legen. „Hört, Brüder,“ sagte Blüburg würdevoll, „was Meister. Kuno von uns dräuenden Gefahren spricht, ist nur zu wahr. Er irrte nur, wenn er sagte, die Zukunft bringe sie uns. Nicht die Zukunft bringt Gefahr — die Gegenwart hat sie schon für uns, unser harren schwere Prüfungen, bei denen es sich zeigen wird, wer unserer Lehre mit Leben und Blut ergeben ist.“ „Ihr malt wohl zu schwarz,“ fiel da Hinz, der Fischer, ein. „Wenn ich auch nicht leugne, daß uns nachgestellt wird, so werden unsere Gegner doch noch wenig Ahnung über unser Dasein in Steyr selbst haben.“ „Na, laßt euch da ein Geschichtchen erzählen,“ sagte da der von Blüburg achselzuckend. „Ich war heute Vormit¬

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