an dessen beiden Seiten sie Aufstellung nahmen. Alle waren höchst einfach gekleidet, obwohl man manchen von ihnen ansah, daß sie mehr waren, als die Kleidung zeigte. Herr Peter selbst sprach jetzt einen frommen Gruß, der ebenso erwidert wurde, dann trat er zu der Stelle, wo das Buch lag und schlug es auf, dann machten alle andächtig das Zeichen des heiligen Kreuzes, worauf Herr Peter aus einer Stelle des Buches vorzulesen begann. Man wird eine Erklärung über das nach unseren Begriffen etwas sonderbare Benehmen dieser Leute hier wohl am Platze finden, umsomehr, als ja von diesen Leuten erzählt werden soll. Die fromme Schar, die sich hier zum Gottesdienste versammelt hatte, war eine jener religiösen Sekten, die im Mittelalter, dieser günstigen Zeit für das Sektenwesen, gleich Pilzen hervor¬ schossen und wieder verschwanden, oft aber nach schweren Kämpfen förmlich ausgerottet werden mußten. Diese Sektierer hier waren sogenannte „Waldenser“, deren Lehren sich allmäh¬ lich bis nach Oberösterreich verbreitet hatten. Peter Waldus, ein Kaufmann aus Lyon in Frankreich, hatte sich im Jahre 1161 berufen gefühlt, als Prophet auf¬ zutreten. Mit einer Begeisterung, die ans Unglaubliche grenzte und die sich auch seinen Anhängern mitteilte, lehrte er, daß die katholische Kirche, wenn sie der Verweltlichung entrinnen und die ur¬ prüngliche Reinheit der Lehre gewinnen solle, die irdischen Güter verachten und Armut als die erste Tugend betrachten müsse. „Der Papst“, sagte er, „sei nur der erste Bischof und nicht mehr als ein anderer,“ und Peter Waldus nahm auch gegen die innere Verderbnis von Kirche und der Geistlichkeit Stellung, verwarf sogar die heilige Messe und die Sakramente, die Verehrung der Bilder, die Anrufung der Heiligen, das 39• Fegefeuer und den Ablaß, hielt sich nur an die Worte der heiligen Schrift und verrichtete auch den Gottesdienst in der Muttersprache. Wie man sieht, Martin Luther hat seine Lehren nicht alle selbst erfunden die „Waldenser“ sind im Grunde ge¬ nommen nur seine Vorläufer gewesen. Es wäre zum verwundern, daß in einer so religiös veranlagten Zeit, wie das 14. Jahrhundert gewiß noch war, solche Lehren Verbreitung finden konn¬ ten, allein die Zeitverhältnisse waren einer solchen Lehre ganz gewiß günstig. Es gab damals eigentlich nur Ka¬ stenmenschen, Geistlichkeit, Adel, den reichen Bürger und — sagen wir es nur offen heraus — Bettler, die von der Hand in den Mund lebten, und trotz schwerer Arbeit kaum das nötige zum Leben verdienten, und dazu zählten der Gewerbetreibende, der Bauer, der Sol¬ dat, der Dienstbote und alle Besitzlosen überhaupt. Bei diesen letzteren Klassen fand diese neue Lehre selbstverständlich die gün¬ stigste Aufnahme; sie konnten diese Lehre am allerersten befolgen, da sie von Haus aus arm waren und ihnen die Lehre von der Armut und Ver¬ ächtlichkeit der irdischen Güter geradezu als Trost erschien. Die Sekte hatte die fürchterlichsten Verfolgungen in Frankreich zu erdulden, wo man sie mit Feuer und Schwert aus¬ rotten mußte, und doch brachten Schü¬ ler des Waldus diese Lehre auch in die Oesterreicher Lande. Zur Zeit, wo diese Geschichte spielt, war das Vorhandensein der „Walden¬ ser“ in Steyr nicht nur festgestellt, son¬ dern man hatte bereits Mittel besprochen, diesen Leuten auf den Zahn zu fühlen und sie unschädlich zu machen. Denn den Mächtigen, den Leitern des Staates, schien ihr erster Grundsatz, der von der Armut, ein gar zu gefährlicher, denn ihnen erschien die Eristenz eines Staates undenkbar, dessen Bürger alle gleich viel, oder gleich wenig besitzen, und
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