Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

20 worden ist, welcher selbes elegant adap¬ tieren will. Das abgelaufene Jahr gehört sowohl in politischer Hinsicht, als auch in der Fruchtbarkeit an Getreide und Wein zu den glücklichsten Jahren seit langer Zeit, jedoch hielt auch der Tod eine seiner reichsten Ernten, besonders unter den Kindern infolge der Schar¬ lachepidemie, so daß in diesem Jahre die unerhörte Zahl von 467 Todes¬ fällen vorgekommen ist. 1363. Dieses Jahr beginnt im allge¬ meinen unter sehr günstigen Auspi¬ zien; es ist keine Aussicht auf einen europäischen Krieg vorhanden, in Oester¬ reichs deutsch=slawischen Provinzen ta¬ gen eben jetzt, nach der geschlossenen fruchtbaren ersten Reichsratssession 17 Provinziallandtage. Durch diese glück¬ liche Begründung des konstitutionellen Systems ist das allgemeine Vertrauen bedeutend gestiegen und daher auch das Silberagio auf 13 % herabgefallen, und nur unsere Industrie empfindet die¬ sen Uebergang zu einer geregelten Wäh¬ rung sehr schmerzlich, indem das Aus¬ land jetzt nichts kaufen kann und da¬ her alle Gewerbe stocken. In unserer Gemeindevorste¬ hung besteht das Zerwürfnis zwi¬ schen dem Bürgermeister Haller, Sekre¬ tär G. Aichinger und der Partei der Eisenhändler und anderen Kaufleute in der Stadt einerseits und dem Advoka¬ ten Dr. Pierer, Buchdrucker M. Haas Staatsanwalt u. Gemeinderat Schwärz, Gemeinderat I. Werndl usw. anderseits, fort, und man sieht mit Spannung dem Resultate der seit bereits zwei Jahren gegen Dr. Pierer und Michael Haas beim hiesigen k. k. Kreisgerichte wegen Aufwiegelung und Ehrenbeleidi¬ gung durch höchst aufregende und ver¬ letzende Zeitungsartikel anhängigen ge richtlichen Untersuchung entgegen, wor¬ über ungeachtet unzähliger Ränke, Machi¬ nationen und Rekurse doch nun bald die Strafverhandlung in Aussicht steht. Ein völlig italienischer Winter! Am 20. Jänner starkes Wetterleuchten mit Sturm, am 25. hier ein Donner¬ wetter. Vom 20. bis Ende Jänner saßen mittags die Kaffeehausgäste wie im Sommer im Freien und die Maurer arbeiteten bei den Bauten im ganzen Jänner ohne Unterbrechung, meist mit ausgezogenen Röcken. In dem ehemaligen Gastgarten „zur goldenen Krone“, der jetzt dem quittierten k. k. Offizier Moritz Cram¬ mer gehört, Nr. 195, 196, an der Garstnerstraße, wird ein neuer gro¬ ßer Salon gebaut und ein Gast¬ garten errichtet, wo der Bruder des Besitzers gutes Wiener Bier ausschenkt. Dieses ganze neue Gebäude wurde im Jänner vollendet. Am 9. Februar hat endlich der große öffentliche Strafprozeß ge¬ gen den Advokaten und Gemeinderat Dr. Franz Pierer und den 82jähr. Buchdrucker Michael Haas wegen Ver¬ gehens der Aufwiegelung und Ehren¬ beleidigung im Verhandlungssaale des k. k. Kreisgerichtes in der Frohnfeste vor einem Drei=Richter=Kollegium un¬ ter Vorsitz des k. k. Kreisgerichtsrates Grafen von Manyans begonnen. Die Staatsanklage führte der k. k. Staats¬ anwaltsubstitut Jarnak und das Ver¬ handlungsprotokoll stenographierte der Oberlandesgerichtsauskultant Schnitzeraus Wien. Die Privatkläger waren ver¬ treten: Bürgermeister A. Haller vom Wiener Advokaten Borowitzka, Sekre tär Aichinger von dem Wiener Advo¬ katen Dirnberger, Franz von Schönthan nomine der Eisenhändler vom Advokaten Kaltenbrunner in Kirchdorf, die Ge¬ meinderäte Med. Dr. Spängler und Franz Wickhoff jun. vertraten sich selbst, Franz Wickhoff senior, Eisen¬ händler, vom Advokaten Peßler aus Linz, der Graf von Festetics und die Gemeindevorstehung in Gaming von dem Wiener Advokaten Dr. Häusler, die

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