Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

bergeld, nämlich die Sechserl, ganz verschwunden sind, sogar an Kupfer¬ münzen eine solche Not, daß man überall schuldig bleiben muß und einige Fabrikanten ihren Arbeitern Billette als Scheidemünze geben. Unsere Gemeindevorstehung hat den löblichen Entschluß gefaßt, das seit vielen Jahren ganz vernachlässigte, ja verwüstete und in einem gräulichen Zu¬ stande befindliche Stadtarchiv, das zuletzt noch bei den Amtsübergaben und Organisierungsversuchen anno 1850 und 1854 förmlich geplündert worden ist, gehörig aufzuräumen, zu ordnen und mit entsprechenden Repertorien zu versehen, und hat dieses Geschäft un¬ serm Dichter und Zeitungsredakteur Hausleithner, einem Söldnerssohn von Christkindl, gegen eine monatliche Remu¬ neration von 30 fl. übertragen. Bei der Feier des kaiserlichen Geburtsfestes am 18. August sind vom Bürgerkorps bloß 22 Mann und 3 Offiziere aufgezogen, und ohne Neuorganisierung mit anderen Unifor¬ men wird dieses alte Institut wohl bald gänzlich verschwinden. Nachdem bereits7 Gemeinderäte durch Tod und Austritt in Abgang ge¬ kommen sind und bei dem leider im¬ mer noch fortdauernden Staats=Proviso¬ rien auch nicht durch eine ordentliche Wahl ersetzt werden konnten, so hat endlich jetzt unsere Gemeindevor¬ stehung dem hohen Ministerium 30 vertrauenswürdige Bürger und an¬ dere Geschäftstreibende zur Auswahl und Ernennung der fehlenden 7 Ge¬ meinderäte vorgeschlagen, welche auch erfolgte. Die politische Situation ist ganz trostlos, denn während in Ita¬ lien die päpstlichen Staaten und das Königreich Neapel bereits aufgehört ha¬ ben, eigene Reiche zu bilden und das neue Italien im Vereine mit der Re¬ volution unser Venetien täglich anzugrei¬ fen droht, daher unsere dortige Ar¬ mee auf dem Kriegsfuße gehalten wer¬ 1 den muß, ist das Zerwürfnis im In¬ nern grenzenlos. Ungarn, welches sich seine frühere Verfassung vom Jahre 1848 errang, droht sich als Folge der Annahme des Reichsrats=Majoritäts=Vo¬ tums vom Reiche bis auf eine schwache Personalunion loszureißen, die kaiser¬ lichen Wappen werden von den ungari¬ chen Aemtern herabgerissen, die deut¬ schen Beamten müssen auswandern, bei den Komitats=Versammlungen wird die Steuerverweigerung beschlossen, usw., während in den übrigen Kronländern mittelalterliche ständische Landesstatute, die alte Bürokratie und Bevormundung eingeführt werden sollen. Dies sind die traurigen Folgen des kaiserlichen Di¬ ploms vom 20. Oktober, welches frei¬ sinnige Institutionen verhieß, das aber die am Ruder befindliche Adelspartei mit dem Minister Grafen Goluchowsky zu lauter Separatzwecken mißbraucht, da¬ her allgemeines Mißtrauen gegen die Regierung. Das Silberagio steht zu 41% und um das, durch das Verschwin¬ den sogar auch der Kupferscheidemünze herbeigeführte gänzliche Stocken des Verkehrs einigermaßen zu paralisieren, mußten endlich wieder Zehnkreuzer¬ zettel ausgegeben werden. Auch glaubte die Regierung durch Anordnung neuer Gemeinderatswahlen in den außer¬ ungarischen Kronländern, nach dem be¬ liebten Stadionschen Wahlgesetze vom Jahre 1849 die Situation bessern zu kön¬ nen, doch verfehlen solche halbe und abgedrungene Maßregeln alle Wirkung. Zu dieser allgemeinen Reichsnot kam in diesem Monate auch wieder eine neuerliche Bierpreissteigerung, 1 Maß Märzenbier kostet jetzt 22 Kreuzer. Im Dezember dauern der gänzliche Mangel des öffentlichen Ver¬ trauens, das hohe Silberagio und daher auch die enorme Teuerung al¬ ler Lebensbedürfnisse fort, worin selbst die gegen Ende des Monats eingetretene abermalige Systemänderung, diesmal angeblich im konstitutionellen Sinne, und der Eintritt Schmerlings ins Ministerium

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