Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

Der Zar erläßt eine Proklamation an die Polen, in denen er volle Auto¬ nomie verspricht. Die Polen nehmen dieses wenig verläßliche Versprechen mit demselben Hohngelächter auf, wie die Juden in Rußland das Manifest des Zaren „An meine lieben Juden“. 16. August. Entscheidender Erfolg über die Serben. Es wird gemeldet: Die gestern ge¬ meldeten Kämpfe an der Drina führten zu einem entscheidenden Siege unserer Truppen über starke feindlicheKräfte, die gegen Valjevo zurückgeworfen wur¬ den. Es wurden zahlreiche Gefangene gemacht und viel Kriegsmaterial er¬ beutet. Die Verfolgung des Feindes ist im vollsten Gange. Unsere Truppen kämpften mit bewunderungswürdiger Tapferkeit gegen den in starken Stel¬ lungen befindlichen, an Stärke eben¬ bürdigen Feind. Besondere Erwähnung verdient das Warasdiner Infanterieregi¬ ment Nr. 16, dessen Offiziere und Mannschaft unter den schwierigsten Ver¬ hältnissen mit der altbewährten zähen Tapferkeit der stets kaisertreuen Kroa¬ ten zum Siege stürmten. Der deutsche Kaiser verläßt Berlin und begibt sich ins Hauptquartier. Ein polnisches Gesamtnationalkomitee. Die von Dr. Leo namens der par¬ lamentarischen Kommission gestellten An¬ träge, die sich auf die Gründung einer einheitlichen öffentlichen nationa¬ len Organisation und die Errichtung pol¬ nischer Legionen im österreichisch=ungari¬ schen Heeresverband beziehen, werden zum Beschlusse erhoben. Ein Aufruf der englischen Sozialisten. Verspätet erfährt man von einem Manifest der englischen Partei gegen den Krieg. Die britische Sektion des Internationalen Sozialisten= und Arbei¬ terkongresses hat nach einer im Unter¬ hause abgehaltenen Konferenz am1. August ein Manifest an das britische Volk erlassen, in dem es heißt: „Der langangedrohte europäische Krieg ist über uns. Seit länger als 100 Jahren hat keine solche Gefahr die Zivilisation be¬ droht. Es liegt an euch, euch volle Rechenschaft von der verzweifelten Lage zu geben und rasch und kräftig im In¬ teresse des Friedens zu handeln. Ihr seid nie wegen des Krieges gefragt worden! Was auch das Urteil über den plötzlichen, erdrückendenAngriff Oesterreichs gegen Serbien sein mag, 185 sicher ist, daß die Arbeiter aller Län der, die in den Konflikt hineingezogen werden können, alle Nerven anspannen müssen, um ihre Regierungen an der Teilnahme am Kriege zu verhindern. Haltet Riesendemonstrationen gegen den Krieg in jedem industriellen Zentrum. Zwingt die herrschenden Klassen und ihre Presse, die euch zur Mitwirkung mit dem russischen Despotismus hinein¬ hetzen wollen, still zu bleiben und die Entscheidung der überwältigenden Mehr heit des Volkes, das von dieser In¬ famie nichts wissen will, zu respektie¬ ren. Heute wäre der Erfolg Rußlands der Fluch der Welt. Es ist keine Zeit zu verlieren: Schon werden infolge ge¬ heimer Verträge und Abmachungen, von denen die Demokratien der zivilisier¬ ten Welt nur Gerüchte kennen, Schritte unternommen, die uns alle in den Kampf stürzen können. Männer und Frauen Britanniens! Ihr habt jetzt eine beispiellose Gelegenheit, der Mensch¬ heit und der Welt einen glänzenden Dienst zu erweisen! Nieder mit der Herrschaft der brutalen Gewalt! Nie¬ der mit dem Kriege! Hoch die friedliche Herrschaft des Volkes! Gezeichnet von Parlamentsmitgliedern Keir Hardie und Arthur Henderson 17. August. Ein Friedensanbot Deutschlands durch Belgien abgelehnt. Deutschland hat nach der Einnahm von Lüttich der belgischen Regierung durch eine neutrale Macht die Einstel¬ lung der Feindseligekiten vorgeschlagen in einer Mitteilung, in der erklärt wird: Die Festung Lüttich wurde nach tapferen Gegenwehr im Sturm genommen. Die deutsche Regierung bedauert auf das tiefste, daß es infolge der Stellung¬ nahme der belgischen Regierung gegen Deutschland zu blutigen Zusammen¬ tößen gekommen ist. Deutschland kommt nicht als Feind nach Belgien. Nur un¬ ter dem Zwange der Verhältnisse mußte es angesichts der militärischen Maßnah men Frankreichs den schweren Entschluß fassen, in Belgien einzurücken und Lüt¬ tich als Stützpunkt für seine weiteren militärischen Operationen zubesetzen. Nachdem die belgische Armee in hel¬ denmütigem Widerstand gegen eine große Ueberlegenheit die Waffenehre auf das glänzendste wahrte, bittet die deutsche Regierung den König und die belgische Regierung, Belgiendie weiteren Schrecken des Krieges zu ersparen. Die deutsche Regierung ist zu jedem Abkom¬

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