Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

Särgen voran schritten eine Anzahl Knaben des Löwenburger Konviktes und die Geistlichkeit. Den Särgen folgten die Kinder der Verblichenen, sodann die weiblichen Mitglieder des aller¬ höchsten Kaiserhauses, die Herren Erz¬ herzoge und hohen Herrschaften, sowie die übrigen Trauergäste. Langsam be¬ wegte sich der Zug über den von bei¬ den Seiten mit Kränzen umsäumten Weg zum Parktor an dem Spalier der Veteranen und Feuerwehrleute, der Schulmädchen, die weiße Kleider mit chwarzen Feldbinden trugen, der Mit¬ glieder des Frauenbundes, der Ge¬ meindevertretung usw. vorbei und so¬ dann den sanft ansteigenden Weg hin¬ an zur Gruft, wo in Gegenwart der Mitglieder des Kaiserhauses nach noch¬ maliger Einsegnung durch den Dechan¬ ten Dobner v. Dobenau die Beisetzung erfolgte. Um 1 Uhr 20 Minuten ver¬ ließen Erzherzog Karl Franz Jo¬ ef und Erzherzogin Zita sowie die übrigen Mitglieder des Kaiserhauses mittels Hofsonderzügen die Station Groß=Pöchlarn zur Fahrt nach Wien. Das Handschreiben des Kaisers. Die „Wiener Zeitung“ brachte nach¬ stehendes Handschreiben des Kaisers: Lieber Graf Stürgkh! Tief erschüttert stehe Ich unter dem Eindrucke der unseligen Tat, die Mei¬ nen innig geliebten Neffen mitten aus einem ernster Pflichterfüllung geweih¬ ten Wirken an der Seite seiner hoch¬ herzigen, in der Stunde der Gefahr treu bei ihm ausharrenden Gemahlin dahingerafft und Mich und Mein Haus in schmerzlichste Trauer versetzt hat. Wenn Mir in diesem herben Leid ein Trost werden kann, so sind es die ungezählten Beweise warmer Zunei¬ gung und aufrichtigen Mitfühlens, die Mir in den eben verflossenen Tagen aus allen Kreisen der Bevölkerung zu¬ gekommen sind. Eine verbrecherische Hand hat Mich des lieben Anverwandten und treuen 169 Mitarbeiters, hat schutzbedürftige, dem zartesten Alter kaum erwachsene Kin¬ der all dessen, was ihnen auf Erden teuer war, beraubt und namenloses Weh auf ihr unschuldsvolles Haupt gehäuft. Der Wahnwitz einer kleinen Schar Irregeleiteter vermag jedoch nicht an den geheiligten Banden zu rütteln, die Mich und Meine Völker umschlingen, er reicht nicht heran an die Gefühle in¬ niger Liebe, die Mir und dem ange¬ stammten Herrscherhause aus allen Tei¬ len der Monarchie aufs neue in so rüh¬ render Weise kundgegeben werden. Sechseinhalb Jahrzehnte habe Ich mit Meinen Völkern Leid und Freuden ge¬ teilt, auch in den schwersten Stunden tets eingedenk Meiner erhabenen Pflich¬ ten, der Verantwortung für die Ge¬ schicke von Millionen, über die Ich dem Allmächtigen Rechenschaft schulde. Die neue schmerzliche Prüfung, die Gottes unerforschlicher Ratschluß über Mich und die Meinen verhängt hat, wird in Mir den Vorsatz stärken, auf dem als recht erkannten Wege bis zum letzten Atemzuge auszuharren zum Wohle Mei¬ ner Völker. Und wenn Ich dereinst das Unterpfand Ihrer Liebe als kost¬ bares Vermächtnis Meinem Nachfolger hinterlassen kann, so wird dies der schönste Lohn Meiner väterlichen Für¬ sorge sein. Ich beauftrage Sie, allen, die sich in diesen kummervollen Tagen in be¬ währter Treue und Ergebenheit um Meinen Thron geschart haben, Meinen tiefempfundenen Dank kundzutun. Wien, am 4. Juli 1914. Franz Josef m. p. Der Kaiser hat gleichlautende Hand¬ schreiben auch an den ungarischen Mi¬ nisterpräsidenten Grafen Tisza und an den gemeinsamen Finanzminister Ritter von Bilinski gerichtet.

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