Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

164 zes Tuch mit weißem Kreuze verhüllte ganz das Altarbild. Auch die beiden Seitenaltäre und die Kanzel waren schwarz verhängt. Ringsum am Rande des Katafalks waren sechs Polster hin¬ gelegt. Auf diesen waren die kaiser¬ liche Prinzen= und die Erzherzogskrone, der Generalshut samt dem Säbel und die Orden für den Erzherzog und ein Paar weißer Handschuhe, der Fächer und die Orden für die Herzogin ausge¬ breitet. An den Särgen bezogen Leib¬ garden die Ehrenwachen. Ehe der allgemeine Einlaß für das Publikum begann, wurden einzelne Be¬ vorzugte in die Kapelle geführt, in deren Raum rechts und links nur je zwei Kniebänke standen. Unten vor den Särgen lagen zwei Kränze und zwei Blumenkreuze. Die Kränze aus wei¬ ßen Rosen und Lilien kamen vom Gra¬ fen Elemer und Gräfin Stephanie Lon¬ yay. Zwischen den beiden Kränzen la¬ gen zwei Kreuze aus kleinen weißen Rosen und mit einem Untergrunde von Zykaspalmen und großen weißen Ro¬ en. Sie hatten rot=weiße Schleifen und kamen von den verwaisten Kin¬ dern. Auf der Schleife stand einfach: „Sophie, Max, Ernst“. Die anderen Kränze werden in der Burghaupt¬ mannschaft abgegeben. Sie zählten nach Hunderten. Vor halb 7 Uhr früh schon hatte im Schweizerhofe ein Bataillon des 82. In¬ fanterieregiments Aufstellung genom¬ men. Es wurde von einem Offizier des Platzkommandos zur Bildung eines Spalieres für den Andrang des Publi¬ kums verwendet. Vom Josefsplatz aus zog sich das Spalier in den Schweizer¬ hof und dort schloß sich das Spa¬ lier von Leibgarde=Infanterie an. Die Truppen wurden um ¼10 Uhr von einem Bataillon des 1. bosnisch=herze¬ gowinischen Infanterieregiments abge¬ löst. Der Andrang des Publikums war sehr groß. Noch vor Beginn des Ein¬ lasses wurden Waisenknaben in die Kirche geführt. Auch Offiziere des 82. Infanterieregiments kamen zeitlich in die Kirche und beteten am Sarge. Hofbe¬ dienstete und Bedienstete der Kammer verrichteten dort auch ihre Andacht. In¬ dessen wurde der Andrang des Publi¬ kums immer größer und mit dem Glockenschlage 8 Uhr wurde der Ein¬ laß freigegeben. Tausende und Tau¬ sende zogen in stiller Trauer rings um die Särge und verließen schwei¬ gend das Gotteshaus. Von 8 bis 12 Uhr wurden an al¬ len Altären Seelenmessen gelesen. Um 10 Uhr sang die Hofmusikkapelle das Misere. Um 12 Uhr wurde der Ein¬ laß geschlossen und nun begannen von allen Türmen der Stadt die Glocken zu läuten. Bis 1 Uhr nachmittags währte das dumpfe Läuten. Um 4 Uhr nachmittags fand die feierliche Einsegnung der beiden Leichen in der Hofpfarrkirche statt. Zu dersel¬ ben begaben sich der Kaiser an der Spitze sämtlicher Erzherzoge und Erzher¬ zoginnen, die Mitglieder der gräflichen Familie Chotek, der Herzog und die Herzogin von Cumberland, der Herzog und die Herzogin von Braun¬ chweig aus dem Gobelinsaale der großen Fremdenappartements in das Oratorium der Hofburgpfarrkirche, wo sich schon früher sämtliche gemeinsamen, sowie die österreichischen und ungari¬ schen Minister, die Präsidenten des österreichischen Reichsrates und des ung. Reichstages, die Vertreter des n.=ö. Landesausschusses, die Bürgermeister von Wien und Budapest und zahl¬ reiche Mitglieder der Hocharistokratie eingefunden hatten. Die Einsegnung er¬ folgte durch den Kardinal=Fürsterzbischof Dr. Piffl und währte nur einige Minuten. Nach der Einsegnung fuhr der Kai¬ ser um dreiviertel 5 Uhr mit dem Flü¬ geladjutanten Oberstleutnant Graf Ho¬ yos in seinem Leibwagen nach Schön¬ brunn. Längs des ganzen Weges hat die Bevölkerung dem Monarchen stür¬ mische Ehrungen bereitet. Die weni¬

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2