Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

schritt auf den offenen Wagen zu, in welchem er neben dem Thronfolger Platz nahm. Das Publikum brach in brausende Hochrufe aus. Die Schreckensbotschaft aus Sarajewo traf am 28. Juni mittags auf Schloß Chlumetz, wo sich die Kinder des Thronfolgerpaares befanden, ein und wurde denselben bis abends verheim¬ licht. Inzwischen kam die Gräfin Hen¬ riette Chotek mit dem Nachmittags¬ schnellzuge in Chlumetz an und teilte den Kindern mit, daß ihre Eltern plötz¬ lich schwer erkrankt seien, sie mögen in die Kirche gehen und für die El¬ tern Gebete verrichten. Gegen 7 Uhr abends hat der Erzieher der Kinder, Dr. Stanowski, in schonendsten Weise die Kinder langsam auf die furchtbare Nachricht vorbereitet. Als die Kinder schließlich von dem Tode ihrer Eltern erfuhren, brachen sie in einen Weinkrampf aus. Die Gräfin Henriette Chotek fiel bei dem An¬ blicke der sich wie verzweifelt gebärden¬ den Kinder in Ohnmacht. Die furcht¬ bar erschütternde Szene ergriff alle An¬ wesenden auf das tiefste. Im Schlosse befanden sich auch der Onkel der Kin der, Graf Wuthenau samt Gemahlin, Fürst Schönburg, Graf Nostitz sowie der Präsident der Landesverwaltungs¬ kommission Graf Schönborn, die sich sämtlich bemühten, den verwaisten Kin¬ dern des Erzherzog=Thronfolgers Trost zu spenden. Es war zunächst unmöglich sie auch nur einigermaßen zu beruhigen. Die Ueberführung der Leichen nach Wien. Nachdem die Leichen des Erzherzogs¬ Thronfolgers und der Herzogin von Hohenberg einbalsamiert worden waren, wurden sie am 29. Juni vormittas vom Erzbischof Dr. Stadler eingesegnet. Dann wurden die Särge versperrt und versiegelt und die Schlüssel selbst wie¬ der unter Siegel gesetzt Lange vor 6 Uhr, der Stunde, die für die feierliche Ueberführung festge¬ 159 setzt worden war, wurden die Stra¬ ßen und Plätze, durch die der Trauer¬ zug vom Konak aus seinen Weg neh¬ men sollte, militärisch besetzt. Trup¬ pen aller Waffengattungen waren= in der Altstraße, in der Konakstraße, auf dem Bistrikplatze und in der Bistrik¬ straße bis zum Bahnhof aufgestellt. Gegen 6 Uhr nachmittags traf die Geistlichkeit ein, um die neuerliche Einsegnung vorzunehmen. Während der Einsegnung wurde das vor dem Ko¬ nak aufgestellte Militär zum Gebet kom¬ mandiert, und die Militär=Musikkapel¬ len spielten das Kaiserlied. Nach der Beendigung der Einsegnung wurden beide Särge von Unteroffizieren und Soldaten den 84. Infankerie=Regim. hinabgetragen und in die Leichenwagen gehoben. Den militärischen Kondukt kommandierte Korpskommandant G. d. J. v. Appel. Als sich der Leichen¬ zug unter den Klängen eines Trauer¬ marsches vom Konak aus in Bewegung gesetzt hatte, wurden von der Gelben Bastion 24 Kanonenschüsse gelöst. An der Spitze des Leichenzuges marschier¬ ten mehrere Infanterie=Bataillone und ein Zug Kavallerie. Sodann folgte die Dr. Geistlichkeit mit dem Erzbischof¬ Stadler, der mit Kränzen über und über beladene Kranzwagen und die bei¬ den Sargwagen, gefolgt vom Hof¬ staate des verblichenen Erzherzogs mit dem Obersten Dr. Bardolff und Grä¬ Weiter fin Lanjus an der Spitze. schritten im Zuge: Landeschef Armee¬ Inspektor F3M. Potiorek mit der ge¬ samten Generalität, die Spitzen der Zivilbehörden und sämtliche dienstfreien Offiziere und Beamten. Der Kondukt nahm den Weg durch die Bistrikstraße. In der ganzen Straße brannten die Laternen. Am Appelkai und im Frz. Josef=Park hatte sich eine große Men¬ schenmenge angesammelt, die den Zug in stummer Trauer entblößten Hauptes vorüberziehen ließ. Gegen halb 7 Uhr abends traf die Spitze des Zuges im Bahnhof ein, wo

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