Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

156 verständnisvollen Tätigkeit zu danken. Doch auch allen künstlerischen und wis¬ enschaftlichen Bestrebungen war der rege Sinn des Herrn Erzherzogs zuge¬ wendet. Alles, was die Größe des Reiches und das Wohl des Volkes be¬ rührt, konnte seiner fördernden Teil¬ nahme sicher sein. Das reine An¬ denken des Verklärten wird von den Völkern des Reiches in höchsten Ehren gehalten werden, und mit innigster Wehmut werden sie seiner Gemahlin gedenken, die ihm ein edles Familien¬ glück bereitet, ihm blühende Kinder ge¬ schenkt hat und auch im Tode mit ihm vereint geblieben ist. Herzogin Sophie von Hohenberg. Herzogin Sophie war als zweit¬ älteste Tochter des Grafen Bohumil Chotek auf Schloß Großpriesen a. E. am 1. März 1868 geboren und am 1. Juli 1900 in der Kirche zu Reichs¬ stadt dem Thronfolger in morganati¬ scher Ehe angetraut. Die Herzogin, eine gewinnende, hohe Erscheinung, er¬ oberte überall, wo sie auftrat, Sym¬ pathien, und auch bei Hofe, wo sie wegen des leidigen Zeremoniells nur elten erschien, wurde sie vom Kaiser tets in ausgezeichneter Weise emp¬ fangen. Das musterhafte Eheleben des Thronfolgerpaares genoß die ganzen Sympathien des Kaisers, der bei je¬ der Gelegenheit die Herzogin bevor¬ zugte. Herzogin Sophie war Sternireuz¬ ordensdame und Protektorin mehrerer wohltätiger Vereine. Eine furchtbare, die Gemüter läh¬ mende Schreckensnachricht durcheilte am 28. Juni mittags die Monarchie und die Welt: Erzherzog=Thronfol¬ ger Franz Ferdinand und Ge¬ mahlin Herzogin Sophie von Hohenberg sind in Sarajewo einem ruchlosen Mordanschlage zum Opfer ge¬ fallen. Die hohen Herrschaften hatten an¬ läßlich der großen Manöver in Bos¬ nien geweilt und statteten der Lan¬ deshauptstadt einen Besuch ab. Um 9 Uhr 50 Min. erfolgte die Ankunft der hohen Gäste mittelst Hofzuges vor dem Philipovic=Lager, wo der Erzher¬ zog und die Frau Herzogin vom Lan¬ deschef F3M. Potiorek und dem Korpskommandanten G. d. J. v. Ap¬ pel empfangen wurden. Auf der Fahrt zum Rathause wurde von einem Typographen aus Trebinje namens Ca¬ brinovic gegen das Automobil eine Bombe geschleudert, die Seine k. u. k. Hoheit mit dem Arme zurückstieß. Die Bombe explodierte, nachdem das erzherzogliche Automobil passiert war. Die in dem nachfolgenden Automobil befindlichen beiden Herren Graf Boos¬ Waldeck und der Flügeladjutant des Landeschefs Oberstleutnant Me¬ rizzi wurden leicht verletzt. Auf der Weiterfahrt nach dem At¬ tentatsversuch war der Herr Erzherzog und seine Gemahlin Gegenstand herz¬ licher Ovationen, die einen um so herzlicheren Charakter annahmen, als sich die Kunde von dem Anschlage, welchem der Herr Erzherzog glücklich entgangen war, bereits vorbereitet hatte. Im Rathause wurden die hohen Gäste vom Bürgermeister Fehim Effendi Curcic, der von den Gemeinderäten umgeben war, festlich empfangen, und mit stür¬ mischen Ziviorufen begrüßt. Bürgermeister Fehim Effendi Cur cic hielt an den Erzherzog eine An¬ sprache, in welcher er den Gefühlen der „tiefen Anhänglichkeit“ und „un¬ erschütterlichen Untertanentreue“. Aus¬ druck gab. Er schloß mit dem Ruf: „Willkommen! Hoch leben unsere geliebten und durchlauchtigsten Gäste: Seine kaiserliche und königliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog¬ Thronfolger Franz Ferdinand und Ihre Hoheit Herzogin Sophie. Gott erhalte Seine kaiserliche und königliche Apostolische Majestät unsern allergnädigsten Herrn, Kaiser und Kö¬ nig Franz Josef den Ersten.“

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