Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

Die Stadt muß für das neue po¬ litische Bezirksamt im hinteren Trakte des städtischen Er=Zölestinerge¬ bäudes zu ebener Erde eine Dienerswoh¬ zwei nung, fünf Polizeiarreste und Schubstuben auf städtische Kosten her¬ richten ohne Entschädigung und Miet¬ zins. Zur Besorgung der Justiz= und Strafrichteramtsgeschäfte kommt hieher ein Kreisgericht anstatt des bis¬ herigen k. k. Landgerichtes, eine Ab¬ teilung des Kreisgerichtes bildet das k. k. städtisch delegierte Bezirks¬ gericht, welches die Justizgeschäfte und kleineren Klagsachen, dann die Be¬ strafung der Uebertretungen im ganzen Steuerbezirke Steyr zu besorgen hat. Das k. k. Kreisgericht mit dem Grundbuchsamte und dem städt. Dele¬ gierten=Bezirksgerichte, dann das poli¬ tische Bezirksamt und das Steueramt bleiben im ärarischen Erjesuitenge¬ bäude, während die k. k. Kreisbehörde mit der Steuerinspektion und der Bau¬ behörde wieder das frühere Kreisamts¬ und Bezirkshauptmannschaftsgebäude am Stadtplatze beziehen wird. Am 15. September übernahm der von Schärding hieher gekommene k. k. Statthaltereirat 80 Kreisvorsteher Herr Karl Reichenbach die Akten der neuen Kreisbehörde und am 30. Sep¬ tember begann dieselbe, sowie die neuen Gerichte, zu fungieren. Der bisherige k. k. Bezirkshaupt¬ mann Herr Franz Heiß, welcher von der Stadtgemeinde einen schönen silber¬ nen Becher als Andenken erhielt, wurde jubiliert. Die Stadt mußte die Konskriptions=, Rekrutierungs=, Gewerbsakten usw. an das k. k. Bezirksamt übergeben und steht nun, wie jede Landgemeinde, ganz unter demselben, obwohl das besondere städtische Gemeindestatut nicht aufgeho¬ ben wurde und auch kein neues er¬ schienen ist. Eine gewiß sehr unklare und unwürdige Stellung, welche nicht von langer Dauer sein kann. 69 1855. Das Jahr beginnt unter sehr trüben Aussichten, indem der Krieg mit Rußland vor der Türe steht, daher die Kriegsrüstungen in außer¬ ordentlicher Weise fortgesetzt werden, das Silberagio auf 29% steht, trotz dem großen Nationalanlehen von 500 Mil¬ lionen, und Teuerung und Wucher in enormen Grade steigen. Am Neujahrstage war ein fürchter¬ licher Orkan. Der heftige Sturm hat das Kreuz auf dem Bürgerspitalsturme wankend gemacht und die großen Blech¬ dächer des fürstlich Lambergschen Glas¬ hauses und des Dr. Kompaßschen Stall¬ gebäudes nächst der Stadtpfarrkirche gänzlich herabgeworfen. Am 9. Jänner gab es ein hier noch nie erlebtes Schauspiel, indem im Gasthaussaale „zum blauen Bock“ in der israeli¬ Bruderhausgasse zwei tische Vermählungen von dem aus Tabor in Böhmen hieher gekom¬ menen Rabbiner unter einem großen Menschenandrange vorgenommen wur¬ den. Es sind überhaupt schon 7 stabi! wohnende israelitische Familien hier, nämlich 1 Hausbesitzer Nr. 325 in Wie¬ serfeld, 1 Messerergewerbsbesitzer und 5 andere Inwohner, sämtlich Hausier¬ händler. Die Feierlichkeit wegen glücklicher Entbindung unserer Kaiserin von einer Prinzessin wurde am 6. März abgehalten. Am 16. März war hier vormittags 10 Uhr der zahlreichste und feierlichste Leichenkondukt seit Menschenge¬ denken, nämlich des am 13. nach langem Leiden verstorbenen Stadtpfarrers Jo¬ sef Plersch, welcher seit 1836 hiesi¬ Schuldi¬ ger Stadtpfarrer, Dechant, striktsaufseher und Ehrendomherr, und als ein edler, gerader Mann, uner¬ setzlicher Schulfreund und großer Wohl¬ täter der Armen allgemein geliebt war. Der hochwürdige Herr Prälat Thomas von Kremsmünster verrichtete die Ein¬ segnung, der Domdechant von Linz, drei

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