Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

62 serteur und Räuber Matth. Lehner, ein Zuchthaussträfling, ein Inquisit usw. auftraten, dauerte drei Tage. Er leug¬ nete auf die frechste Art durchaus al¬ les, wurde aber von den Geschworenen als des Mordes schuldig erkannt und hierauf zu zwanzigjährigem, schweren Kerker verurteilt. Der zweite Fall, ein Dieb, wurde zu dreijährigem, der dritte, eine Brandlegerin, zu fünfjäh¬ rigem, und der vierte, nämlich der vor¬ malige Hofschreiber von Gschwendt und nachherige Steuereinnehmer von Neu¬ hofen, Herr Grünseyß wegen Mißbrauch der Amtsgewalt, Betrug und Verun¬ treuung zu 6jährigem schweren Kerker verurteilt. Während der ersten Hälfte des Wonnemonates war es sehr kalt und sehr veränderlich; allein in der ganzen zweiten Hälfte vom 16. bis 31. reg¬ nete es fast ohne Unterbrechung fort bei höchstens + 8°. Die Ternberger¬ Berge waren fortwährend mit Schnee bedeckt und alle Wohnungen beheizt. Kein Mensch denkt einen so schlechten Mai. Die Teuerung wächst erstaunlich. Zu Ende des Monats fing erst das Korn zu blühen an. Am 31. mittags kam der neue Statthalter von Oberösterreich, Eduard Bach, zum Behufe der Beeidigung unseres, von Sr. Majestät bestätigten ersten konstitutionellen Bürgermeisters Herrn Anton Gaffl, wurde feierlich empfangen, fuhr nach der Tafel nach Garsten und brachte dort den ganzen Nachmittag und Abend mit Besichtigung der bereits fertigen Strafanstalt zu. Um halb 9 Uhr fuhr er zurück, wo ihm dann von den Kapellen des Bürger¬ und Schützenkorps, dann dem Gesang¬ vereine mit Fackeln eine hübsche Platz¬ musik gemacht wurde. Es warder erste schöne Abend. Am 1. Juni, einem Sonntage, vor¬ mittags versammelten sich der Herr Statthalter und sämtliche hiesige Di¬ kasterien in der Stadtpfarrkirche zum feierlichen Gottesdienste. Nach 7 demselben ging der ganze Zug an der auf dem Platze aufgestellten Bürger¬ wehre (Infanterie, Schützen, Kavalle¬ rie und Artillerie mit sechs Kanonen) vorüber auf das Rathaus, wo im Ratssaale der Herr Statthalter nach einer entsprechenden Eröffnungsrede dem Herrn Bürgermeister den im Lan¬ desgesetzblatte erschienenen Diensteid ab¬ nahm, worauf die Bürgerwehr dr Salven gab und die Kanonen don¬ nerten. Dann hielt der Herr Statt¬ halter noch eine geistvolle Anrede, die der neue Herr Bürgermeister sehr gemüt¬ lich erwiderte. Den Schluß machte eine ehr gehaltvolle, feurige Rede des Herrn Vizebürgermeisters A. Haller worauf gegenseitig sehr herzliche Um¬ armungen und Glückwünsche folgten. Endlich defilierte die gesamte Bürger¬ wehr auf dem Stadtplatze vor dem Herrn Statthalter und seiner Suite. Nachmittags war im Gasthause „zur Krone“ die Bürgermeistertafel, wo bei den zahlreichen Toasten die Kanonen donnerten. Am Montage besuchte der Herr Statthalter noch sämtliche Schulen, Spi¬ täler, Gerichts= und Amtslokalitäten und die meisten Eisenwerkstätten und fuhr abends um 4 Uhr sehr befriedigt nach Kremsmünster. Es war von Sonn¬ tag bis Dienstag das schönste Wet¬ ter, aber schon am Mittwoch kam wi¬ der der Regen. An den Pfingstfeier¬ tagen, Dreifaltigkeitssonntag, Fron¬ leichnamstag und Sonnenwendtag hef¬ tiger Regen. In der Stadtpfarre mußte die Prozession in der Kirche gehalten werden; allein am Sonntage bei der Prozession in der Vorstadtpfarre war es schön. Die Offiziere des in dem Revolu¬ tionsjahre 1848 errichteten Natio¬ nal=Schützenkorps hatten bis jetzt noch immer die dreifarbigen (schwarz¬ rot=goldenen) Feldbinden getragen, und bei einer Beratung die darnach in der Zeitung erschien, erklärt, daß sie selbe bis zur hochortigen definitiven Regelung

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