Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

58 Wohl seiner Untertanen und seines Lan¬ des. Gleich als er zur Erkenntnis ge¬ langt war, daß sein Leiden unheilbar sei, faßte er den Entschluß, seine Al¬ lodien*) mit Zustimmung seiner Mi¬ nisterialen an Herzog Leopold VI. von Oesterreich nach seinem Tode zu ver¬ erben, und am 17. August 1186 über¬ gab er am St. Georgenberge zu Enns den Babenbergern die diesbezügliche Schenkungsurkunde, in welcher er in treuer Fürsorge für das Wohl seines Volkes demselben wichtige Privilegien urkundlich sicherte. Der restliche Teil des Lebensdes letzten Traungauers verfloß in steter Sorge für sein Land. Besonders be¬ dachte Ottokar VIII. die Klöster, als dazumal die einzigen Kultur= und Bil¬ dungsstätten im Land, und auch wohl dem Zuge seines Herzens folgend, der ihn drängte, stets den Tod vor Augen, sich durch gottgefällige Werke eine ruhige Sterbestunde zu sichern, und womit er nur dem streng religiösen Zuge seiner Zeit unwillkürlich Rechnung trug. Und so entschlief denn der edle Dulder, der bis zum letzten Augen¬ blicke sein entsetzliches Leiden mit wahr¬ haft heroischer Selbstverleugnung und Selbstbeherrschung ertragen hatte, still und friedlich im Schlosse zu Steyr am 8. Mai 1192 und mit aufrichtiger Trauer erfüllten die Edelsten seines Volkes den letzten Wunsch ihres Herrn und geleiteten Ottokars VIII. sterbliche Ueberreste nach der Karthause Seitz in der Steiermark — dort ruht der letzte Traungauer, der Steyrer größter und zugleich unglücklichster Fürst, vergessen und heute ungenannt, und ebenso zu Staub zerfallen ist sein Leib, wie sein *) Nicht das Herzogtum Sterermark, wie es in den meisten Geschichtswerken heißt; dasselbe zu verleihen war nur der deutsche Kaiser berechtigt. Nachdem aber Ottokars VIII. Orivatbesitz in seinen Landen größer war, als das Land der Steyermark, das er nicht als Privateigentum besaß, ein Herzog von Stevermark aber ohne Ansehen gewesen wäre den Babenbergern gegenüber, die als seine Lehensleute doch die mächtigeren Herren waren, so blieb dem Kaiser nichts anderes übrig, als die mächtigsten Grundbesitzer der Stepermark, die Babenberger, auch mit der herzoglichen Würde in Sterermark zu belehnen, und so kam die Stepermark an Oesterreich. Grabmal zernagt und zerbröckelt vom nie rastenden Zahn der Zeit — ein wah¬ res und ergreifendes Bild irdischer Ver¬ gänglichkeit Gerade ein Jahr nach dem Tode Herzog Ottokar VIII. bewegte sich vom heutigen Stadtplatze in Steyr aus ein gar glänzender Zug ritterlicher Frauen und Herren gen Garsten — an der Spitze die Herren Gerung und Megin¬ halm von Schachen. Herr Gerung war in den letzten Jah¬ ren weiß geworden, der Kummer und das tiefe Mitgefühl mit den Leiden eines Gebieters hatten den gar nicht alten Herrn zum Greise gemacht, tiefe Furchen in sein Antlitz eingegraben und seine Gestalt gebrochen. Aber heute schritt er gar stolz auf¬ gerichtet daher und freudig blickten seine Augen in die Welt, galt es doch, Me¬ ginhalms Sohn in der Kirche zu Garsten durch die heil. Taufe aufnehmen zu lassen in die Gemeinschaft der Kirche und somit in die Zugehörigkeit zur da¬ maligen Gesellschaft. Frau Mechthild von Schachen hatte ihren Gatten, der jetzt, zum kraft¬ strotzenden Recken entwickelt, so stolz daher schritt neben seinem Bruder, bis¬ her mit zwei Kindern beschenkt — zur nicht allzugroßen Freude derer von Schachen waren es Mädchen gewesen, die Meginhalm wohl zärtlich liebte, aber doch im geheimen einen Sohn und Er¬ ben des Namens derer von Schachen lieber gesehen hätte. Vor wenig Wochen nun hatte der Himmel ein Einsehen gehabt, und als Frau Mechthildens schwere Stunde vor¬ über war, zappelte ein junger Schachen gar lebhaft auf Meginhalms Armen und schrie so kräftiglich dabei, daß Herr Gerung, den jungen Neffen zärtlich in die Wangen kneifend, vergnügt sagte: „Bist schon ein Schachen du haben alle Mund und Herz am rechten Fleck, wollen das Letztere auch von dir gewärtigt haben!“

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