Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

leicht und schritt an den Beiden vorbei. An der Tür, die zu seinen Wohn¬ räumen führte, schien sich Ottokar je¬ doch eines anderen besonnen zu haben, denn er drehte sich um und sagte, die Türklinge schon in der Hand haltend, laut und so vernehmlich, daß es auch die wenige Dienerschaft, die am an¬ deren Ende des Saales beisammen stand, vernehmen konnte: „Ist also Ernst mit der Heimkehr unserer lieben Gäste, denn unseren Herrn Vetter, den Herzog Leopold ver¬ langt es gar sehr nach seiner Familie! Müssen sie leider Gottes ziehen lassen und morgen früh geht's nach Wien. Wollt daher alles zur Abreise bereit halten, ihr Herren, und wollen es hof¬ fen, daß der Ausritt aus unserer Resi¬ denz grad so festlich sich anlassen wird, wie der Empfang! Dafür kenn ich euch ja zu gut, edle Herren!“ Und mit freundlichem Kopfnicken verschwand der Herzog durch die rasch geöffnete Tür, welche etwas hastig in das Schloß fiel. Die beiden Hofleute sahen sich viel¬ sagend an, und der Landesmarschall machte eine Bewegung, die wohl heißen sollte: „Ich versteh' den Herzog nicht weiß er von seiner Sach', oder ahnt er noch immer nichts?“ Herr Gerung zuckte die Schultern und seine Mienen antworteten: „Bin grad so klug als ihr!“ Und er wandte sich dem Schloßvogt zu, der näher herangetreten war, um eine Weisungen für den heutigen Tag in Empfang zu nehmen. XIX. Herr Gerung, der wußte, daß sein herzoglicher Herr nicht gern mit Hof¬ zeremoniellfragen belästigt sein wollte, hatte bald mit den Würdenträgern ein Abkommen bezüglich der Verabschiedung des Hofes zu Steyr von den hohen Gästen aus Oesterreich getroffen, und mit Zustimmung des Herzogs fand da¬ her abends ein großer Empfang im 53 Schlosse statt, bei welchem Geistlichkeit, Adel und Bürgerschaft vollzählig ver¬ treten waren, nachdem Herr Gerung schon eine Woche vorher für diesen Fall an eine solche Art der Verabschiedung gedacht und gewirkt hatte. Kein Mißton störte das schöne Fest, denn die hohen Damen und besonders Prinzeß Agnes waren von wahrhaft ent¬ zückender Liebenswürdigkeit, Herzog Hein¬ rich nicht ganz so fröhlich wie sonst, aber recht heiter, während Herzog Ot¬ tokar wohl ziemlich ernst schien, aber einen Hausherrnpflichten mit voller Hin¬ gabe nachkam, und keine Seele ahnte, was in seinem Innern dabei vorging, auch Herr Gerung nicht, dem der Her¬ zog ein Rätsel war, wie den anderen dem Fürsten entfernter stehenden Gästen. Am Tage der Abreise standen die Schlitten gar zeitlich früh in langer Reihe vor und in dem Schlosse und hel¬ les Schellengeklingel weckte die hohen Damen, die sich beeilten, reisefertig zu werden und noch der Messe in der Schloßkapelle beiwohnen zu können. Herzog Ottokar verabschiedete sich von den Damen in derselben herzlichen Weise, wie er sie empfangen hatte, und Prin¬ zessin Agnes sagte mit leichtem Hände¬ druck zu ihm: „Es ist gar herrlich bei euch hier zu Steyr, lieber Ottokar, und ich scheide ungern — meine gnädigste Frau Mut¬ ter meint aber, die Entscheidung über unser Geschick werde ja bald getrof¬ fen werden — ich sage daher nur auf baldiges Wiedersehen!“ „Wollte es Gott!“ entgegnete der Herzog, der gar wohl verstanden hatte, daß seine hohe Braut unter der Ent¬ scheidung über ihr Geschick die kom¬ mende Hochzeit verstand, mit sehr ge¬ preßter Stimme, „es wäre ja auch mein und meines Volkes sehnlichster Wunsch, — euch als Herrin hier zu sehen Gott chütze euch, liebe Agnes, und auch mich!“ Hiebei küßte Ottokar seiner hohen Braut die Hand und half den Damen

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