Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

46 wahrhaft geisterhafte Blässe in dessen Antlitze, verbunden mit dem seltsamen Wesen desselben ließen den Leibknap¬ pen um den Verstand seines Herrn fürch¬ ten und er zog sich ein paar Schritte zurück gegen die Tür. „Was willst du denn?“ fuhr ihn der Herzog wild an. „Gnädigster Herr,“ stotterte der ich Knappe verwirrt, „ich dachte vermeinte, ihr wäret nicht wohl. „Nicht wohl? Was heißt das? Bist du vielleicht auch der Meinung, ich sei unheilbar krank! He?“ „Um Gott, gnädigster Herr —“ „Schweig und lüge nicht, so du mich vom Gegenteil versichern willst — warum tratest du soeben von mir zurück? Du fürchtest durch die Berührung die Krank¬ heit von mir zu erben? Es ist so, he?“ Und der Herzog schlug eine gellende Lache auf, erhob sich vom Lehnstuhl und wollte auf seinen Diener zugehen, blieb aber noch beim Tische stehen, stützte sich mit der Hand auf denselben und schien über etwas nachzudenken. „Was sagtest du vom Arzt?“ fragte er, den Leibknappen forschend an¬ sehend. „Ob ich den Pater Erasmus holen soll, gnädigster Herr,“ stammelte ver¬ wirrt der Knappe. Der Herzog schien plötzlich einen Entschluß gefaßt zu haben. „Einen Arzt wohl — aber keinen von denen, die alltäglich hier im Schlosse sind,“ sagte er mit schriller Stimme. „Hol' mir den Passauer so drunten bei der Mühle wohnt*) — du weißt, wen ich meine?“ „Gewiß gnädigster Herr,“ nickte der Leibknappe, „den Sebaldus, der im Vorjahre aus Passau hieher kam und sich als Arzt niederließ.“ „Ja — so sagte ich,“ fuhr der Herzog langsamer und ruhiger wer¬ *) Ungefähr da, wo heute an der eisernen Brücke über die Sterr bei St. Michael eine Mühle sich befindet. dend im Tone fort, „aber merk, was ich dir rate — so eines Menschen Aug im Schloß davon erfährt, daß der „Passauer“ allhier bei mir gewesen, sitzt du drauf tiefst im Verließ für zeitlebens, und damit hollah!“ Der Diener verstand die Handbe¬ wegung, welche sein Herr bei den letzten Worten machte, und trachtete aus dem Gemach zu kommen, worauf er zu dem bezeichneten Arzte eilte und diesem den Befehl des Herzogs überbrachte. Der Arzt, der sich in Steyr seines ruhigen und hilfsbereiten Wesens hal¬ ber in der kurzen Zeit seines Aufent¬ haltes daselbst große Zuneigung seitens der Bewohner erworben hatte und den der Herzog, wie so viele seiner Re¬ schüttelte sidenzler, persönlich kannte, bei dem Berichte des Knappen gar be¬ denklich das schon ergrauende Haupt, da er sich diesen Zustand des Herzogs nicht erklären konnte, umsoweniger, als er nicht zu den behandelnden Aerzten Ottokars zählte. Er beeilte sich aber mit dem Anklei¬ den, entzündete den Docht in der La¬ terne und eilte mit dem Knappen durch die finsteren Gäßchen in das Schloß hin¬ auf. Er befand sich bald vor Herzog Ottokar, der sich so gesetzt hatte, daß sein Antlitz nicht von der Lampe, die am Tische stand, beleuchtet erschien, sondern voll auf die Gestalt des Arztes fiel, der bescheiden einige Schritte vom Her¬ zog entfernt, einer Ansprache harrte. Ottokars Blicke ruhten durchdrin¬ gend auf Sebaldus, dem es nicht ganz geheuer erschien, mit dem Herzog in so später Nachtstunde allein zu sein, aus dessen sonderbarem Benehmen er aber auf eine schwere Erkrankung schloß. „Hört, Passauer,“ brach endlich der Herzog das peinliche Schweigen, „ihr werdet jetzt antworten auf das, was ich euch frage, nach Recht und Gewissen, so, wie ihr es als Christ vor Gott verantworten könnt, ihr versteht doch?“

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