Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

ganzen Jammer, der seine Seele wie der Sturmwind das Meer durchpeitschte, zu enthüllen. Aber Herzog Ottokar wußte sich zu bezwingen und nahm es mit unend¬ licher Dankbarkeit in Miene, Blick und Worten auf, daß sich seine ahnungs¬ lose Braut bemühte, ihn aufzuheitern und mit baldiger endgiltiger Genesung zu trösten — nur deren Mutter und Onkel wich er geflissentlich aus, wahr¬ scheinlich, weil er nicht die Kraft sich zumutete, die Rolle, die er Agnes gegenüber spielte, die seine trostlose Lage nicht kannte, auch vor diesen bei¬ den zu behaupten, deren Blicke, die er verstohlen zu erhaschen wußte, ihm deutlich sagten, daß sie Wissende seien. Und so wurde es denn später Abend und man trennte sich. Der Leibknappe Ottokars zog seinem Herrn die Prunk¬ gewänder aus und half ihm die Haus¬ kleidung anlegen, dann verabschiedete der Herzog den Diener. Bisher hatte Ottokar sich aufrecht zu erhalten gewußt — jetzt, allein und unbeobachtet, brach er buchstäblich zu¬ sammen. Er sank in den großen Lehn¬ stuhl, und vergrub das Haupt in seine Hände und versank in tiefes Sinnen. Ja, der Herzog hatte den Sinn von des Abtes von Garsten Predigt nur zu gut verstanden, schon in der Kirche und jetzt wiederholte er sich im Geiste dessen Worte, deutelte daran herum, erin¬ nerte sich an des Abtes, an seiner hohen Verwandten, an seiner vertrauten Hof¬ leute Benehmen während dieser Pre¬ digt, und alles das ließ ihn nur aus tiefster Brust aufseufzen: „Aussätzig! Du bist aussätzig!“ Wirr und hastig jagten sich die Ge¬ danken in seinem Gehirn. Wenn er, der Herzog Ottokar, aussätzig war was folgte nun, wie lange dauerte die Qual, blieb er Herzog, was würde aus seiner Heirat? Bei diesem letz¬ teren Gedanken schrie er förmlich auf vor innerem Weh. Was tat dann sie seine hohe Braut, seine holde Ag¬ 45 nes? Schwer war der Verzicht auf Thron und Szepter, entsetzlich erschien dem Herzog ein Leben, nicht krank, nicht gesund, als ein Ausgestoßener von der übrigen Menschheit, aber alles, alles dies schien ihm zu ertragen — nur die Trennung von seiner Braut nicht, und er sprang auf, raste förmlich im Ge¬ mach herum, schlug sich auf Kopf und Brust, und schrie, daß es dumpf von den mit Teppichen behangenen Wän¬ den widerhallte. — „Es kann nicht sein es ist nicht möglich, daß des Abtes Worte mich be¬ treffen! Ich bin ja gesund — ich bin — nicht aussätzig, will es nicht ein, — mein, Herr des Himmels, so schwer prüfst du mich armen Sterb¬ lichen denn doch nicht — es wäre ja mehr, als ich ertragen kann!“ Und wieder sank der Herzog in sei¬ nen Lehnstuhl. — Draußen im Vor¬ zimmer schlief der Leibknappe. Er wurde durch des Herzogs Rasen geweckt, sprang erschreckt auf und beeilte sich, nachzu¬ sehen, was es gäbe. Er klopfte meh¬ rere Male an die Tür — der Herzog, wieder in tiefes Hinbrüten versunken hörte ihn jedoch nicht, und so öffnete der Knappe leise die Tür und sah in das Gemach. Der Herzog saß am Tische, atmete heftig und kurz, das Gesicht wieder mit den Händen ver¬ deckt und murmelte unverständliche Worte. Dies schien dem Knappen be¬ denklich und jagte ihm Furcht ein der Herzog mußte unwohl sein. Der getreue Diener näherte sich seinem Herrn und suchte durch Hüsteln dessen — Aufmerksamkeit auf sich zu lenken vergebens. Endlich faßte sich der Knappe ein Herz und sprach seinen Gebieter an. „Hoher Herr, gnädigster Herr seid ihr unwohl? Soll ich den Pater Arzt holen?“ Beim Klang der Stimme fuhr der Herzog empor und sah den Diener so starr und wirr an, daß dieser auf das heftigste erschrak — so hatte er seinen Gebieter noch nie gesehen, und die

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