Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

Herzog Ottokar, der im Oratorium der Klosterkirche in Garsten neben sei¬ ner hohen Braut seinen Platz genom¬ men hatte, erschöpfte sich für diese in Aufmerksamkeiten, die von hoch und nieder wohl vermerkt und besprochen wurden. „Welch aufmerksamer Bräutigam, sagten die Frauen und die Männer stimmten dem zu mit dem Hinzufügen, daß die Babenbergerin solcher Ritter¬ lichkeit nicht nur würdig sei, sondern daß von Herzog Ottokar ein anderes Benehmen ja gar nicht erwartet wer¬ den durfte. Auf der Epistelseite drüben befan¬ den sich der Hofstaat der Gäste und die ihnen zum Ehrendienst zugeteilten Steyrer Damen und Herren. Unter ihnen befanden sich auch das edle Fräu¬ lein von Weitenegg und Meginhalm und vom letzteren muß in Anbetracht des Ortes, wo er sich befand, leider gesagt werden, daß er sich mehr, so¬ wohl mit seinen Blicken und in seinen Gedanken mit Fräulein Mechthild be¬ schäftigte, als mit der heiligen Hand¬ lung, die drunten, am Hochaltare so¬ eben ihren Anfang genommen hatte, vereinbar war. Meginhalm, der ein frommer Christ war, machte sich ob dieser seiner Zer¬ treutheit nicht wenig Vorwürfe, allein er bildete sich ein, Fräulein Mechthild blicke hie und da, verstohlen und in allen Ehren natürlich, nach ihm und gar nicht unfreundlich und so kam es, daß Meginhalm in seiner Herzensfreude beim Evangeliumlesen beinahe das Auf¬ stehen versäumt hätte, wenn ihn nicht einer der Herren mit einem etwas der¬ ben Stoße dazu gemahnt. Nach dem ersten Evangelium wurde die Messe, die der Abt selber zele¬ brierte, unterbrochen und während sich die Andächtigen ziemlich geräuschvoll setzten, bestieg der Prälat, gestützt von zwei Klerikern, die Kanzel, um die Predigt zu halten. 39 Abt Konrad war als ausgezeichne¬ ter Kanzelredner weit über die Gren¬ zen Steyrs hinaus bekannt und es be¬ reitete den Kirchenbesuchern jedesmal Freude und hohen Genuß, 1130 einen Worten und seiner hinreißenden Be¬ redsamkeit zu lauschen. So war es auch heute und lautlose Stille trat ein, als der Prälat seine Predigt begann. In der ersten Bank rechts vorne saßen der Landesmarschall, der Burg¬ graf, Ulrich von Stubenberg und Herr Gerung von Schachen, die mit großer Aufmerksamkeit beobachteten, wie blaß der Abt heute aussah, wie seine Finger nervös bald am Kanzeltuch und bald an seinen geistlichen Kleidern sich zu schaffen machten, und die edlen Her¬ ren hatten gar wohl den vielsagenden Blick bemerkt, den der Abt ihnen so¬ eben zugesandt hatte. Jetzt gerieten auch diese so wetterharten Männer plötzlich in große Aufregung, denn, verstanden sie diesen Blick recht, war der Abt jetzt eben im Begriffe, seine vor Wochen etwas prophetisch gesprochenen Worte zu erfüllen, wie er damals sagte, die schwerste Pflicht seines Lebens, sowohl als treuer Untertan, wie als Priester des allbarmherzigen und allmächtigen Gottes der Liebe! Die Blicke der edlen Herren hingen von diesem Augenblicke an wie gebannt an den feingeschwungenen Lippen des Abtes von Garsten und wandten sich nur zeitweise und sehr zagend und ver¬ stohlen auf das Antlitz ihres Herrn und Gebieters, des Herzogs Ottokar, der andächtig und sehr aufmerksam den Worten des Predigers lauschte. Der Abt leitete seine Rede mit der Erzählung der Legende der heiligen drei Könige ein und spann den Faden seiner Abhandlung dann weiter, indem er den Stern, der über der Krippe still gestanden hatte, als das Licht des Glaubens pries, das allen Gläubigen vonnöten sei, besonders aber den Mäch¬ tigen der Erde, als Richtschnur für ihre Handlungen und als Trost in

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