Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

36 ihr schien, gerade überlegte, ob es einen meuerlichen Sprung über das sich ihm bietende Hindernis wagen, oder sich die ihm bedroht erscheinende Freiheit durch einen Angriff auf seine Geg¬ nerin erkämpfen solle. Dabei funkelten die Aeuglein des Tieres so wild, und das keuchende Atemholen, sowie der Schaum, der dem Eber dabei aus dem Nachen floß, ließen der Edeldame nur zu deutlich das Trostlose ihrer Lage erkennen, so¬ daß sie es jetzt bereute, sich durch ihr jugendliches Ungestüm und ihren Leicht¬ sinn selber den Hauern des Ebers aus¬ geliefert zu haben und in ihrer Angst tieß Mechthild einen gellenden Schrei aus und schloß die Augen, jede Se¬ kunde erwartend, zerfleischt zu werden. Im selben Augenblicke stieß das Wild ein durchdringendes Geheul aus, das aber jäh in ein Röcheln überging, und als Mechthild jetzt aufblickte, lag der Eber fast bei ihr, die mächtigen Glieder im Todeskampfe streckend, denn gerade im entscheidenden Augenblicke war Meginhalm herbeigekommen, er¬ kannte mit einem Blicke die entsetzliche Lage der Edeldame, war vom Pferde gesprungen und hatte mit wenigen Sätzen den Eber erreicht, der in blin¬ der Wut nur den vor ihm befind¬ lichen Gegner, nicht aber den heran¬ nahenden Feind sah, und stieß dem¬ selben das kurze Schwert mit dem Auf¬ gebote aller seiner Kraft in den Leib, zugleich den Fuß auf den Nacken des Tieres setzend. Das Blut des zu Tode getroffenen Wildes färbte den Kiesboden und be¬ netzte die Kleider Mechthildens, die sprachlos vor Aufregung zusammensank. Meginhalm überzeugte sich, daß der Eber sich rasch zu Tode blutete und nun ungefährlich sei, er beeilte sich da¬ her, Mechthilde mit Hilfe des eben herangekommenen und gleichfalls abge¬ sessenen Herrn von Ort vorsichtig von der Last des Pferdes zu befreien, was auch gelang. „Das war Hilfe zur rechten Zeit, sagte Hartnid von Ort, als Fräulein Mechthild wieder auf den Füßen stand. „Ihr wart in gar schlimmer Lage, edles Fräulein!“ „Und durch ihre eigene Schuld,“ fügte Agnes von Babenberg, besorgt um ihren Liebling hantierend, streng hinzu. „Ihr seid doch nicht zu Scha¬ den gelangt, Mechthild?“ Gott sei dank, nein,“ entgegnete Mechthild von Weitenegg, tief auf¬ atmend und sich fühlend, „seht, hohe Frau, ich kann ohne Schmerzen gehen,“ und sie machte einige Schritte und fügte lächelnd hinzu: „Aber mein ar¬ mer Zelter, der ist wohl tot.“ „Ei, doch ja,“ schalt Agnes von Babenberg, noch in großer Aufregung, „laßt den Zelter doch Zelter sein und seht nach Herrn Meginhalm.“ Dieser stand vor Aufregung er¬ schöpft an einen Baum gelehnt und be¬ trachtete mit ebenso ängstlichen als zärtlichen Blicken Mechthild, die bei den Worten ihrer hohen Gebieterin wie mit Purpur im Gesicht übergossen, rasch auf ihn zutrat, ihm die Hand reichte und verwirrt sagte: „Habt Dank, Herr Meginhalm, für euren Dienst — ich werde euch diese Tat nie vergessen.“ „Freilich nicht,“ meinte Agnes von Babenberg lächelnd und doch dabei den Unmut über die Sorglosigkeit ihrer Hof¬ dame augenscheinlich niederkämpfend, „wäre Herr Meginhalm nicht, ihr wei¬ let wohl nicht mehr unter den Leben¬ den, oder doch jämmerlich zerfleischt und zeitlebens verunstaltet.“ „Ich will mich dieses Augenblickes erinnern,“ entgegnete Mechthild, die ihre Beherrschung wieder gewonnen hatte, mit leichtem Schauder, „es ist eben nicht gut, ein so lebhaftes We¬ sen zu besitzen, als das meine ist.“ „Ihr braucht eben jemand, der euch, ihr großes Kind, beschützt und be¬ wacht,“ lächelte Agnes von Babenberg, „vielleicht die starke Hand und ruhigen

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