Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

34 obliegt die schwere Pflicht, dem Herrn Herzog den Ausspruch der Aerzte zu hinterbringen!“ Der Abt von Garsten schien nicht wenig von dem diplomatischen Geschick des Abtes von Gleink überrascht zu sein, schwieg ein kleines Weilchen, als dachte er über die Sache nach, und sagte endlich, da er aller Blicke gespannt auf sich gerichtet sah, jedes Wort be¬ tonend: „Ihr edlen Herren, mein hochwür¬ diger Amtsbruder von Gleink hat recht ich bin der oberste Seelenhirt am Hofe zu Steyr und mir kommt es zu, Gottes schwere Prüfung meinem Beichtkinde zu verkünden! Mir schwebt bereits, dunkel allerdings noch, die Art, wie das zu geschehen hat, vor — habt etwas Geduld mit mir, edle Herren, so Gott will, erfülle ich diese schwerste Pflicht meines Lebens nicht nur als Hofkaplan zur Steyr, sondern auch als Priester des allmächtigen und allbarm¬ herzigen Gottes der Liebe!“ XIII. Nachdem Agnes von Babenberg mit ihrer Begleitung das Kloster Garsten verlassen hatte, lenkte sie ihren Zel¬ ter auf den Weg, der an der Enns nach Steyr führt. „Es ist freier und lichter dort un¬ ten, wie hier durch den Forst,“ sagte sie zu Hartnid von Ort, „und ich liebe die rauschenden Wasser der Enns gar sehr — erinnern sie mich doch immer so lebhaft an die Donau, freilich sind diese zwei Wasser doch grundverschie¬ den von einander, die Enns trotzig und kraftvoll im selbst gegrabenen Bette stät dahinfließend und die Donau heut da, morgen dort ihren Lauf verändernd, wahrlich die Enns gleicht recht sehr dem schaffenden und seine Scholle lie¬ benden Landbewohner, während die Donau ganz das Bild des Städters wiedergibt, der nur für die Abwechs¬ lung auf allen Gebieten schwärmt und sich zur Beständigkeit nur schwer auf¬ raffen kann. Hartnid von Ort hatte überrascht diese Worte der hohen Frau vernom¬ men und Freude und Stolz erfüllten ihn darob, denn er konnte daraus ent¬ nehmen, daß Agnes von Babenberg eine gute Fürstin und Landesmutter der teirischen Lande sein würde, denn ihr bescheidener, ruhiger Sinn paßte, das erkannte Hartnid von Ort, mehr für den ruhigen Ottokarenhof zu Steyr, als für den geräuschvollen Sitz der Babenberger zu Wien. „Ihr scheint an unserem Lande viel Gefallen zu finden, hohe Frau,“ er¬ widerte er deshalb mit Wärme, „und ich glaube, ihr werdet euch bei uns recht wohl und heimisch fühlen —“ „Ich will es hoffen,“ sagte Agnes von Babenberg, „doch, was ist da los?“ Von rückwärts her drangen einige verworrene Rufe, Pferdeschnauben und Hufgestampf, und ehe Agnes von Ba¬ benberg auf dem schmalen Steige ihr Pferd noch wenden konnte, wurde das¬ selbe unruhig und drängte gegen den Fuchs, den Hartnid von Ort ritt und plötzlich begannen beide die Füße rasch und hastig hoch zu heben und zu kan¬ zen, und in diesem Augenblicke war es, als winde sich ein Tier zwischen den beiden Pferden durch. „Ei, seht doch, Herr von Ort,“ rief die hohe Frau lebhaft und beruhigte ihr aufgeregtes Tier, „ist das nicht ein leibhaftiger Eber, der uns soeben hier vorangelaufen ist? Seht doch, wie das Tier in die waldige Lehne zu entkommen sucht —“ „Sankt Hubertus, es ist wirklich ein Eber, hohe Frau,“ rief Hartnid von Ort, „der ist wahrscheinlich durch uns aufgestört worden beim Eichelfraß. Drü¬ ben gen Garsten ist's sumpfig, da gibt's die gar der Wildschweine in Hülle, oft die mit Eichelbeständen bedeckten Hänge der Enns aufsuchen, ah, das und edle Fräulein von Weitenegg

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