Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

fen, zuwinken, als Herr Gerung ihm verstohlenerweise Zeichen machte, die Meginhalm darauf deutete, er habe nicht zu sagen, daß bereits Besuch hier sei, und schon gar nicht, wer derselbe wäre. Fräulein Mechthild, die nicht sah, was ihren Begleiter zurückhielt, schien jedoch das Zurückbleiben ihres Beglei¬ ters übel zu nehmen und ihr reizendes Gesichtchen überflog ein trüber Schat¬ ten. Sie wandte sich hastig zu Me¬ ginhalm und sagte ziemlich scharf im Tone: „Ihr dürft. auch herein, Herr Me¬ — zum Klostertrunk habt ihr ginhalm ja noch Zeit —“ Meginhalm errötete tief und hatte eine ebenso scharfe Antwort auf den Lippen, aber er besann sich und ent¬ gegnete ruhig: „Nicht doch, edles Fräulein, ich be¬ kenn' es, daß ich zu lau war in eurem Dienst und euch schon auf die Schön¬ heiten dieses Gotteshauses hätte vor¬ her aufmerksam machen sollen — aber des guten Klostertrunkes halber ver¬ geß ich das gewiß nicht —“. „Dann mögt ihr mich entschuldigen, euch unrecht getan zu haben,“ sagte Mechthild von Weitenegg leichthin, so ganz im Tone der Hofdame, und nach einer gegenseitigen, zeremoniellen Ver¬ beugung schritten sie ihrer hohen Ge¬ bieterin nach, die schon weit gegen den Hochaltar voraus war und eben sich auf einen Betschemel zu kurzer An¬ dacht niederließ, was auch Fräulein Mechthild tat. Während die Damen beteten, such¬ ten Meginhalms Blicke die Gestalt Mech¬ thilds, und merkwürdig, auch sie hatte zu ihm herübergesehen, der etwas links¬ seit= und rückwärts der Damen stand, aber dieser Blick war so kurz und schien mehr der Evangeliumseite des Gottes¬ hauses zu gelten, sodaß Meginhalm, der diesen Blick der Heißgeliebten gerne für sich in Anspruch genommen hätte, 31 sich sagte, daß er sich leider getäuscht habe, und traurig das Haupt senkte. Indes hatte die Fürstin sich wie¬ der erhoben und schritt aus der Kirche, nicht ohne vorher am Grabe Otto¬ kars VI. von Steyr, des Stifters von Garsten, und dessen Gemahlin Elisa¬ beth, auf welches der Abt aufmerk¬ sam gemacht hatte, kurz gebetet zu haben. Als die Herrschaften aus der Kirche traten, schritt eben der Jude Abraham über den Klosterhof. Als er der hohen Gesellschaft ansichtig wurde, zögerte er einen Augenblick, als wollte er stehen bleiben, aber ein nur ihm merklicher Wink des Abtes befahl ihm, weiterzu¬ chreiten, was Abraham auch schleunigst tat, nachdem er vor der hohen Frau eine tiefe Verbeugung gemacht hatte. Der Abt fühlte die Blicke aller auf sich gerichtet und las in den Augen jedes Mitgliedes der Besuches seines Klosters die stumme Frage: „Wie kommt der Jude hieher ins Kloster?“ Der Abt aber lächelte fein und sagte zu der Prinzessin im erklärenden Tone: „Der Arzt besucht den Arzt, hohe Frau. „Richtig,“ entgegnete diese leichthin, setzte aber sogleich mit leichtem Seufzer hinzu: „Bin ich recht berichtet, so be¬ handelt auch er meinen hohen Bräu¬ tigam?“ Der Abt nickte und die Gesellschaft setzte ihren Weg zur Besichtigung des Klosters fort. „Was saht ihr dem Juden so eigen¬ tümlich nach?“ fragte Fräulein Mech¬ thild ihren Begleiter im Weiterschrei¬ ten. „Habt ihr etwas gegen ihn?“ „Gewiß nicht, edles Fräulein,“ ent¬ gegnete Meginhalm ruhig. „Ich bin kei¬ nes Menschen Feind.“ Mechthild von Weitenegg schien et¬ was erwidern zu wollen, doch da wandte sich ihre hohe Gebieterin mit einer Frage an sie, und die Hofdame mußte schweigen; doch schien ihr die Antwort Meginhalms nicht mißfallen zu haben,

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