18 Abraham, wie er überall hieß, mochte gut 80 Jahre zählen, war aber frisch an Geist und Körper, was den Be¬ weis liefert, daß Entbehrungen häufig den menschlichen Körper stählen, Wohl¬ leben und Reichtum aber selten der Ge¬ sundheit zuträglich sind. Und gut war's dem alten Abraham im Leben nie so recht gegangen, abgesehen davon, daß der Jude es sich in jener Zeit vor der Mitwelt nicht gut gehen lassen durfte, wollte er nicht den Neid und die Mißgunst allseits in rohe Gewalt¬ tätigkeit gegen ihn entfachen. Der alte Abraham war früher Handelsmann ge¬ wesen und hatte einen guten Teil der damals bekannten Welt bereist, jetzt be¬ trieben seine Söhne den Handel mit Messerwaren aus Steyr ins Reich und weiter hinaus und der Alte blieb zu Hause und verwertete seine medizini¬ schen Kenntnisse, die er sich, wie er erzählte, im Orient im Laufe der Jahr¬ zehnte erworben hatte. Der alte Abraham war ein geschickter Arzt, der manch' gelungene Kur auf¬ wies, und selbst der Adel verschmähte seine Hilfe nicht, wenn es galt, einem Kranken alle Hilfe angedeihen zu lassen die Menschen gewähren können. Die Krankheit des Herzogs hatte natürlich auch der alte Abraham in jenen abenteuerlichen Formen und Arten schildern hören, wie dies eben das Volk tut, das sich auch heutzutage nimmer mit der gewöhnlichen Tatsache zufrieden gibt, und war sich daher nicht klarer darüber, als er es als Arzt unter solchen Umständen sein konnte. Heute saß der Alte zur Mittags¬ zeit auf dem Holzbänkchen vor seinem Häuschen, nachdem die Sonne gar so freundlich herunterlachte, und sinnend ruhte sein Blick auf Stadt und Land, während seine Gestalt etwas fröstelnd in sich zusammengekauert war. Wie er wieder einmal seinen Blick der Stadt zuwandte, richtete sich der Alte plötz¬ lich auf und Ueberraschung malte sich auf seinem faltigen Gesichte. „Sarah komm' heraus,“ rief er zur Tür hinein, und sofort erschien im Rah¬ men derselben eine junge Frau, die Enkelin des Alten. „Was befiehlst du?“ sagte sie. „Ist dir kalt oder soll ich dir einen Fu߬ schemel bringen?“ „Nein,“ sagte der Alte ruhig, „ich fühle mich wohl, aber das Alter hat meine Augen blöde gemacht, daß sie nicht mehr genau schauen können die Geschöpfe Gottes unter der Sonne. Leihe mir daher deinen Augapfel, mein Kind, und sieh da hinab — wer ist der Ritter, der den Weg zu uns her¬ aufsteigt?“ Die junge Frau hielt die Hand über die Augen und sah scharf in die ihr vom Großvater angedeutete Richtung hinaus. „Gott, was ist das?“ sagte sie nach einigen Augenblicken beunruhigt, „das ist ja der edle Herr Gerung und kein anderer — was kann der von uns wol¬ len, denn er kommt zu uns hieher, da er dich fortwährend ansieht.“ „Beruhige dich, mein Kind,“ ent¬ gegnete der alte Abraham, „ich dachte es mir, daß er es sei, denn die ruhige Würde des ernsten Mannes verleiht seinem Wesen etwas Eigentümliches der edle Herr Gerung ist keiner, der uns etwas zu Leide tun wird, der sucht den Arzt bei mir. Gehe hinein und mache Ordnung in der Stube.“ Die junge Frau ging wieder in das Haus und der alte Abraham erhob sich, denn Herr Gerung — dieser war —war der Näherkommende wirklich nicht mehr weit entfernt und winkte dem Alten freundlich zu. „Bleib' nur sitzen, Alter,“ sagte er jetzt nähertretend, „ich hab' mit dir zu reden — wird wohl etwas länger dauern, als deine alten Knochen ohne Stütze vertragen.“ „Wollt ihr nicht bei mir eintreten, edler Herr?“ fragte der Alte mit dem Käppchen, das er in der rechten Hand hielt, auf die Tür weisend.
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