Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

überreichten die vornehmsten Frauen und Mädchen Steyrs der hohen Braut und deren Mutter gar prächtige Blumen, womit die Begrüßung ihr Ende er¬ reicht hatte. VI. Am Abende dieses Tages standen Herr Gerung und der Landesmarschall in einer Fensternische des Empfangs¬ saales im Schlosse und tauschten ihre Meinungen über die Ereignisse des ver¬ flossenen Tages aus. „Ihr habt schon recht, mein lieber Herwick,“ meinte soeben Herr Gerung, „die Babenbergerin wird Leben da her¬ ein bringen, die sieht nicht darnach aus, als wolle sie die Abende am Spinnrocken verbringen, und das ist recht so. Uebrigens gesteh' ich euch's, die Babenbergerin gefällt mir.“ „Ei, seht doch, Herr Gerung, das hatte ich euch nimmer zugetraut, daß ihr ein Weib so milde beurteilen könnt, lachte Herwick auf, „nehmt euch in acht.“ „Ach was,“ ging Herr Gerung auf den Scherz ein und lachte ebenfalls, „warum soll ich nicht loben, wo es zu loben gibt? Es geschieht doch in allen Ehren natürlich und ich wollte damit nur gesagt haben, daß Prinzeß Agnes die richtige Herzogin zu Steyr werden will, wie mir's scheint, fröhlich und doch ernst, kein Stolz und von gutem Herzen, wie ich glaube. „Ei doch, das ist ganz meine Mei¬ nung,“ sagte der Landesmarschall hastig, „hab' sie genau beobachtet, wie der Abt von Garsten die Rede hielt und dann alles so begeistert ihr zurief. Sahet ihr es auch, Freund Gerung, wie sie rot wurde bis hinter die kleinen Ohren vor Freude und wie sie mit euchten Augen und glückseligem Lächeln unseren gnädigsten Herrn ansah und ihm vertraulich zunickte, als wollt' sie sagen: „Da siehst du, wie deine Steyrer guten Herzens sind — sie sollen sich nicht 15 in mir getäuscht haben“ — saht ihr das nicht auch?“ „St. Georg, gewiß hab' ich das alles betrachtet,“ stimmte Herr Gerung zu, „und mich darüber baß erfreut. Aber, lieber Herwick, wollt' doch nicht wieder meine Begeisterung über des gnädigen Herrn Braut Euren Spott haben, denn ich glaube, der gewaltige Recke Herwick ist selber Feuer und Flamme für sie.“ „In allen Ehren natürlich, so wie ihr, Freund Gerung,“ lachte der sonst sehr wortkarge Landesmarschall gut ge¬ launt und klopfte Herrn Gerung ver¬ traulich auf die Schulter, „ihr habt recht, ich hab' die Babenbergerin be¬ reits lieb, wie ein guter Untertan seiner Landesmutter zugetan sein soll, und dem schlag ich alle Knochen im Leibe entzwei, der sich erkühnte, den Schna¬ bel sich zu wetzen über sie — wol¬ len nur hoffen, mit der Baben¬ bergerin ist das Glück wieder in diese Mauern eingezogen, das daraus ent¬ flohen zu sein scheint, he?“ Und er reichte seinem Freunde die Hand, die Herr Gerung kräftig schüt¬ telnd sagte: „Wollen's hoffen, Freund Herwick, und ich wollte nur, die Babenbergerin wär' schon Herzogin in Steyr. „Hm,“ sagte der Landesmarschall plötzlich mit gedämpfter Stimme, „ihr fürchtet doch nichts für unsern gnä¬ digsten Herrn — seine Gesundheit scheint mir doch recht zu erstarken?“ „Euch ja, aber nicht mir, der ich alltäglich um ihn bin,“ entgegnete Herr Gerung beinahe flüsternd und mit sor¬ genvoller Miene, „wißt, g’rad bevor der Herzog von der Burg sich herab be¬ gab zur Begrüßung seiner hohen Braut, hatte er wieder so einen Anfall von Schwäche, klagte über Unbehagen und ich hatte alle Mühe, ihn zu bewegen, seine Braut außerhalb des Schlos¬ ses' zu begrüßen, so matt und so schwach fühlte er sich. Auch Pater Erasmus macht seit etwa vierzehn Ta¬

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