Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

6 fürstlichen Herrn hinüber, der im Lehn¬ sessel beim Tische saß und bei Gerungs Eintritt den müden Blick von Megin¬ halm abwandte, der ihm beim Tische gegenüber stand und augenscheinlich sich dermal nicht ganz behaglich fühlte, denn er zog bald am Wams etwas zurecht und bald am Wehrgehäng, und doch war er ganz tadellos gekleidet, wie man es doch tut, wenn man vor seinen Lan¬ desfürsten tritt. Herzog Ottokar VIII., der seine Aufmerksamkeit dem eingetretenen Ge¬ rung jetzt zuwandte, war zu jenerZeit — man schrieb das Jahr 1184 — erst 31 Jahre alt, also im ersten Beginne jener Jahre, die beim Manne geistige und körperliche Reife bedeuten und bei einem Fürsten die Jahre der Taten ind. Wer den Herzog aber zum ersten¬ mal sah, würde ihn für einen Greis gehalten haben, denn sein sonst edelge¬ chnittenes Antlitz war mager und tief durchfurcht, das spärliche Haupthaar und der noch spärlichere Bart waren schneeweiß und der Blick seiner tief¬ blauen Augen war matt und schläfrig. Dieses kraftlose Bild des erst 30¬ jährigen Herrschers vervollständigte das Gebeugtsein seines Oberkörpers, der mehr im Lehnstuhle lag als saß, und als der Herzog jetzt mit dem Arm dem alten Gerung den Gruß erwiderte, sah man, daß diese schmale, sonst schön geformte Hand mager war und bleich aussah, wie die Farbe des Antlitzes. Herzog Ottokar VIII. von Steyr war der Sohn des Markgrafen Ottokar VII. und Kunigundens, einer geborenen Grä¬ fin von Vohburg. Von Kindheit an chwach und kränklich, konnte die liebe vollste Pflege der zärtlichen Mutter und die sorgsamste Betreuung seitens der Aerzte seine Gesundheit nicht kräftigen, und als er mit 15 Jahren großjäh¬ rig erklärt, die Regierung Steyrs von einer Mutter und Vormünderin*) Ku¬ *) Ottokar der VII. starb zu Fünfkirchen in Ungarn auf einer Reise nach Palästina am 31. Dezember I164 und wurde zu Seitz in Steiermark begraben. nigunde übernahm, erschien er beim An¬ blick als ein Kind von greisenhaftem Aussehen. Aber trotz seiner körper¬ lichen Leiden war er lebhaften Geistes und besaß eine starke Seele. Mit echt männlicher Entschlossenheit ergriff er die Zügel der Regierung und bald ver¬ kündeten seine Taten, daß dieser an Leib so schwächliche Ottokar VIII. die Tu¬ genden seiner traungauischen Ahnen er¬ erbt hatte. Er war edel und warm¬ herzig, wo es galt, Unterdrückte zu schützen und sich der Verlassenen und armen Hilflosen anzunehmen, strenge, aber gerecht wider jene, die sich über die Gesetze stellten, und unermüdlich im Wohltun. Gar bald nach seinem Regierungs¬ antritte wußten die Bewohner der stei¬ rischen Gaue, daß wieder eine starke Hand im Lande schalte und daß der „kranke Knabe“, wie manch trotziger Herr den Fürsten spöttisch nannte, ein willensstarker Mann und unermüdlich tätiger Fürst sei, und man bat Gott inbrünstig, den Landesfürsten gesunden zu lassen, damit er, gleich stark an Geist und Körper, die steirische Mark beherrsche. Ottokar VIII. war, wie dies bei der¬ lei körperlich schwächlichen Menschen oft vorkommt, in früher Jugend bereits mit dem Verstande eines gereiften Man¬ nes begabt und handelte darnach. Er war fest und überlegte wohl, bevor er sich entschied, aber immer und in allem seinen Tun prägte sich die Liebe zu einer steirischen Heimat und zu seinem Volke aus, eine Liebe, die umso tiefer bei ihm wurzelte, als er ein sehr re¬ igiöses Gemüt besaß, aus dem Ge¬ rechtigkeit, Milde und Mitgefühl mit sei¬ nen Mitmenschen entsprangen, und tat¬ sächlich ist die Geschichte dieses letzten Ottokars nichts weiter als eine Kette von Wohltaten für sein Land und sein Volk. Dies war der Fürst, der jetzt so ruhig und gelassen Herrn Gerung zu sich heranwinkte.

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