Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

124 wurden über Nacht in die Frauen¬ Kapelle außerhalb Ennsdorf an der wo Kammermayer=Leiten gebracht, Patronen aber zwei ganze die Tage polizeilich bewacht werden mu߬ ten, bis endlich verfügt wurde, daß sie in den Pulverturm der ärarischen Ge¬ wehrfabrik unterm Himmel zu bringen und dort zu verwahren seien. Eine ge¬ richtliche Untersuchung muß über deren Anschaffung geführt werden. Es waren 9 geschlossene Munitions¬ fasser mit 6396 Stück, und 5 offene Fässer mit 552 Stück Patronen, fer¬ ner ein Papiersack mit Pulver, etwa 9½ Pfund schwer, gefunden und am 16. August, 9 Uhr abends, polizeilich übernommen worden. Am 8. Sept. hielt die neue, große, in Salzburg gegossene Glocke unter großem Volkszulauf auf einem sechs¬ spännigen verzierten Wagen ihren Ein¬ zug in die Stadt. Die Weihe verzog sich aber noch wegen Krankheit des Bi¬ schofs. Am 23. September wurde hier das Friedensfest wegen glücklicher Be¬ endigung des Krieges in Italien und Ungarn gefeiert. Vor dem Rathause war ein auf 5 Stufen erhabener präch¬ tiger Altar errichtet, die zahlreiche Na¬ tionalgarde: Kavallerie, Schützen und Infanterie bildeten ein großes Karree, der Herr Kanonikus, Dechant u. Stadt¬ pfarrer Josef Flersch zelebrierte das Hochamt, nach einer von dem Herrn Kooperator Franz Ferster gehaltenen feurigen Rede. Am Dienstag den 25. ds. fand im Friedhofe neben dem Stadtpfarrturme die Weihe der neuen Glocke statt. Sie wurde vom Herrn Kanonikus u. Stadtpfarrer Josef Flersch namens des hochw. Herrn Bischofes auf sehr feierliche Weise abgehalten und unmit¬ telbar darauf wurde die Glocke auf¬ gezogen. Sie wiegt 52 Zentner 31 Pfd. und ist an Umfang um 5 Zoll im Durch¬ messer weiter, als die vorige, obwohl sie um 130 Pfd. an Gewicht geringer ist. Der Ton ist aber nicht so dumpf und kräftig, wie bei der vorigen. Die Arbeiten zur Organisie¬ rung der landesfürstlichen Gerichts= u. politischen Verwaltung werden strenge betrieben; es gibt ein wahres Chaos. Am 23. Oktober marschierten vier p. Kompagnien des Linien=Inf.=Reg. Benedek Nr. 28 aus Böhmen nach Vor¬ arlberg; am 27. eine Abteilung des Feuerwerkskorps aus Italien nach Wien; am 1. November das 4. Ba¬ taillon und am 2. November das 2. Bataillon vom Benedek=Linien=Inf.= Reg.; dann am 5. November das 1. Bataillon Kaiser=Jäger hier durch und hielten hier Rasttag. Da die drei letz¬ ten Bataillone direkt vom Kriegs¬ schauplatze aus Ungarn kommen, so wurden sie beim Einmarsche von der hiesigen Nationalgarde, und beson¬ ders das Kaiserjäger=Bataillon auch von der ganzen Bevölkerung aufs herz¬ lichste und feierlichste empfangen, ja letz¬ teren zu Ehren sogar ein glänzender Ball gegeben. Dasselbe sah besonders elend und ganz herabgekommen aus dessen 4 Kompagnien waren von 900 Mann auf 453 herabgeschmolzen und auch im hiesigen Spitale blieben wie¬ der 18 Mann am Typhus schwer krank zurück. Der Tod eines derselben ver¬ anlaßte am Sonntag den 11. November einen von der Nationalgarde und einer begleiteten 723 ungeheuren Volksmenge glänzenden Leichenzug. Am 22. November kam Se. Ma¬ stät, der regierende Kaiser aus Böhmen nach Linz, wo die Steyrer Deputation wegen der fatalen Husaren¬ durchlassung ziemlich hart angelassen wurde. Am 20. Dezember traf das 1. Land¬ wehrbataillon Großherzog v. Baden aus Ungarn hier unter feierlichem Emp¬ fange ein, hielt Rasttag, und marschierte dann nach Salzburg ab. Die Patrimonial= und Kom¬ munalbehörden sehen, wenigstens in politischer Hinsicht, der Auflösung

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