Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

122 zusammenhängender Kampf zwischen dem kommunistisch= republikani¬ chen —und dem monarchischen Prinzip! Unter so trüben Aussichten ging bei herrlichem Stande der Feldfrüchte das Getreide wieder zur völligen Teue¬ rung hinauf (Weizen am 9. Mai bei 15 fl. W.=W. Sonst ist es bei uns dem äuße¬ ren Scheine nach, etwa vermehrte Roh¬ heit und Raufhändel des Proletariats abgerechnet, ruhig, auch die Nachstel¬ lung am 15. Mai, wo wir wieder 8 Mann aufbrachten, ging ruhig ab. Al¬ lein in der öffentlichen Verwal¬ tung herrscht komplette Anarchie: der Magistrat besteht noch von heute auf morgen; als eigentliche Erekutiv¬ behörde ganz ohnmächtig, darneben der Gemeinderat aus 30 Gliedern, wo al¬ les zusammenschreit und gewöhnlich ein Drittel ganz ausbleibt, dazu an der Spitze als Bürgermeister ein ganz rat¬ loses Kind! — Die eigentlichen öffent¬ lichen Geschäfte: Polizei=, Konskriptions¬ und Marktwesen gehen heute diesen, morgen jenen Körper, in der Ausübung aber gar keinen, an; daher die wi¬ dersprechendsten Anordnungen, die aber Das ist ohnehin nicht befolgt werden. — ein erquicklicher Zustand für die unteren Organe, welche diese Geschäfte gegen¬ über einer brutalen Masse handhaben sollen!—! Wann wird die Einsetzung landesfürstlicher Gerichte, wann die Trennung und Konstituierung der po¬ litischen Gewalten stattfinden? Am Freitag den 1. Juni biwa¬ kierte zu Wolfern auf einem Felde der Stab und zwei Eskadrons der von Böhmen nach Italien ab¬ rückenden, ihrer Meuterei und Rohhei¬ ten wegen berüchtigten k. k. Palatinal¬ Husaren, und marschierte am Samstag nach Leonstein ab. Am Sonntag den 3. kam die zweite Division in Wol¬ fern an, welche schon abends, zum Ueberfluß noch angefeuert von einigen Steyrer Radikalen, Insubordination, Meuterei und Vorsatz zur Desertion zur Schau trugen, und auch am Montag den 4. in solcher bedenklichen Stim¬ mung nach Leonstein nachrückten während am gleichen Tage in Wol¬ fern die 3. Division aus Maut¬ hausen anlangte. Am 4. abends nun erhielt vom der Herrn Kreisvorsteher Stadler den Nationalgarde=Oberkommandant und Auftrag zur Besetzung der Brücken po¬ der magistr. Distrikts=Aktuar zur weil lizeilichen nächtlichen Streifung, unter den Husaren in Wolfern und Leonstein Desertionen zu besor¬ gen wären. Die Besetzung und Strei¬ fung fand statt bis am hellen Morgen. Daß übrigens die erstere unter dem radikalen Oberkommando so nachlässig und ungenügend als möglich ausfiel, versteht sich von selbst, so daß selbst einige Husaren, wenn welche in der Nacht gekommen wären, keinen Wider¬ stand gefunden hätten. Ebenso ungenü¬ gend, ja widersinnig waren aber auch die Anstalten des Militärs selbst. In Hargelsberg war ganz zwecklos In¬ fanterie und in Sierninghofen Kavallerie von Kaiser=Cheveaur legers stationiert. Um Mitternacht brachen die von der 1. Kolonne in Leonstein de¬ sertierten Husaren dort auf, ritten um 3 Uhr früh ganz unangefochten durch das besetzte Sierninghofen nach Wolfern, um dort auch die zweite Kolonne zum Meineid zu ver¬ leiten, und als ihnen dies nicht ge¬ lang, auf einem großen Umwege über Dietach nach Steyr, wo sie, 113 Mann und 120 Pferde stark, um 7 Uhr eintrafen, still mit gespannten Hähnen, ohne Offiziere durch das Schnallentor herein, über die Steyrerbrücke und un¬ teren Ennsbrücke, dann über die Enns¬ leiten auf der Straße nach Steiermarl ohne irgend einen Aufenthalt, ja von zwei Drittel der Stadtbevölkerung gar nicht bemerkt, fortritten. Kein Aviso von Sierninghofen oder Wolfern kün¬

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